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Jahrestreffen 2007 der Pirckheimer-Gesellschaft in Augsburg

Fotos vom Jahrestreffen 2007 in Augsburg

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© Konrad Hawlitzki 2007Fast volle 20 Monate nach dem Berliner Jubiläumstreffen war es wieder soweit, eine Mitteilung in den MARGINALIEN rief für den 14. bis 16. September zum Treffen in Augsburg, und 58 Mitglieder, großenteils mit Angehörigen, folgten der Einladung in die über zweitausend-jährige Hauptstadt des bayerischen Schwaben. Im Kolpinghaus gegenüber dem Mozarthaus empfing unser Augsburger Mitglied Matthias Haberzettl die Anreisenden und teilte sie in die verschiedenen Besichtigungsgruppen des umfangreichen Programmangebots auf. Er überreichte jedem außer Informationsmaterial zur Stadt einen symbolträchtigen Holzschnitt, von Gerd J. Wunderer eigens für das Treffen geschaffen, sowie eine Kollektion von Broschüren mit Nachdrucken früher Klemke-Illustrationen und ein Begleitheft zu einer Dresdner Klemke-Ausstellung aus eigener Produktion. Für den Abend war die Mitgliederversammlung in den Kolpingsaal einberufen worden. Dr. WK begrüßte die Anwesenden, besonders herzlich die älteste Teilnehmerin, Ursula Krüger (Potsdam), das Gründungsmitglied Udo Mammen (Halberstadt) und die ebenfalls bei der Gründungsversammlung 1956 dabeigewesene Ingeborg Eckert (Berlin). Es wurde der Verstorbenen des letzten Jahres gedacht: Prof. Theodor Brüggemann, Dr. h.c. Heinz Sarkowski, Werner Schuder, Lutz Brüders, Hans-Jürgen Stöppler, Karl Ludwig Leonhardt und Jens-Heiner Bauer. Der Vorstand mit dem neuen Schatzmeister Abel Doering (Berlin) wurde kurz vorgestellt. Der Dank des Vorsitzenden ging an Matthias Haberzettl für die Vorbereitung des Treffens, an Dr. Carsten Wurm für den 50. Jahrgang der MARGINALIEN, die trotz aller finanziellen Probleme weiterhin die Beilagen bringen werden, sowie für den Nachdruck des ersten Heftes der MARGINALIEN und an Abel Doering für die Herstellung des lange erwarteten Mitgliederverzeichnisses. Es wurde für das von Hans-Udo Wittkowski initiierte neue Künstlerbuch mit originalgraphischen Illustrationen von Claudia Berg zu Gedichten von Volker Braun geworben. Der Mitgliederstand der Gesellschaft entwickelt sich momentan bedenklich: Todesfälle, Umzüge und Austritte wegen Alter und Krankheit werden zur Zeit durch Neueintritte nicht kompensiert. Werbung tut not, und eine Radierung von Dieter Goltzsche als Werbeprämie für neue Mitglieder liegt weiterhin bereit. Abschließend gab WK bekannt, daß er aus persönlichen Gründen für die nächste Wahlperiode als Vorsitzender nicht mehr zur Verfügung stehe. Man möge sich langsam Gedanken über einen Nachfolger machen. Den Finanzbericht für das Jahr 2006 erstattete die bisherige Schatzmeisterin Gabriele Ballon, die das Amt zum 1. Januar 2007 an Abel Doering übergeben hatte. Der mit Zahlen belegte ausgeglichene Haushalt wurde im Bericht der Revisionskommission, erstellt von Klaus Bartel und vorgetragen von Jutta Osterhof, bestätigt, die Entlastung beantragt und durch die Mitglieder ausgesprochen. WK ging noch kurz auf die Mitgliedschaft der Pirckheimer-Gesellschaft im Kulturbund und im neuen Stiftungsrat der Kulturbundstiftung ein. Die Stiftung soll kulturelle Vorhaben fördern und unterstützen, ihr Stiftungsrat nimmt in Kürze seine Arbeit auf. Die Diskussion über die nächsten Jahrestreffen begann mit der Verkündung einer Einladung von Prof. Dr. Wolfgang Schmitz nach Köln am Rhein. Dieses Angebot wurde mit großer Mehrheit für voraussichtlich September 2008 angenommen. Eine Spezialführung zum Erscheinungsort der Neuen Rheinischen Zeitung bot Dr. François Melis an. Für die nächsten Jahre wurden vorgeschlagen und befürwortet: Jena, Halle und Hannover. Außerdem sei ein „kleines Treffen“ mit Fritz Treu in Radebeul im Gespräch. Nun wurde es Zeit für das Festessen. Die auf den Tischen aufgestellten Speisekarten, geschrieben und gestaltet von Prof. Lisa Beck, die auch unter den Gästen weilte, wurden studiert, und man begab sich in mehreren Gängen an das reichhaltige Büfett. Inzwischen breitete der Augsburger Künstler Gerd J. Wunderer seine Buchobjekte auf Tischen aus, die dann von ihm vorgestellt wurden. Außer einem Brecht-Heft im Auflagendruck handelte es sich um Unikate aus den verschiedensten Materialien, die Texte oft eingewickelt oder verschnürt in Stoffe, Papiere, Holz und Stein, geheimnisvoll, orientalisch anmutend. Eine Wunderwelt der Buchkunst außerhalb des Vertrauten. Der Samstag stand, wie schon der Freitag, für Erkundungen vieler Aspekte der Stadt zur Verfügung: Augsburg als Römerstadt, als Fuggerstadt, als Textilstadt, als Kunststadt, als Brechtstadt und so fort. Dafür hatte Matthias Haberzettl ein umfangreiches Programmangebot vorbereitet. Hier können nur summarisch einige der Angebote angedeutet werden. Einen guten Einstieg bot ein ausgedehnter Stadtrundgang mit der sehr versierten Stadtführerin Brunhilde Thomae. Er begann am die Stadt beherrschenden Renaissance-Rathaus mit seinem berühmten Goldenen Saal und führte durch die schmalen Gassen der Handwerkeraltstadt zur Fuggerei, dieser seit 1521 bestehenden kleinen Stadt in der Stadt, „der ältesten Sozialsiedlung der Welt". Am Komplex des Hohen Domes mit seinen vielen Kunstwerken, auf dem Gelände der römischen Provinzhauptstadt Augusta Vindelicum gelegen, mußte die Führung aus Zeitgründen abgebrochen werden. Gleich gegenüber dem Dom liegt das mit einer Rokokofassade versehene „Peutingerhaus“, das Wohnhaus des Augsburger Humanisten, Gelehrten, Bibliophilen und Stadtschreibers Konrad Peutinger (1465-1547), der auch mit Willibald Pirckheimer in Verbindung stand. Das Stadtarchiv, derzeit in einem vierstöckigen Stadtpalais untergebracht, bewahrt auf zirka 12 000 Regalmetern Urkunden und Akten, Periodika und Bilddokumente zur Stadtgeschichte Augsburgs seit dem 11. Jahrhundert. Der Leiter, Dr. Michael Cramer-Fürtig, führte die Gäste durch das bis unter das Dach gefüllte Haus, soweit möglich, aus allen Bereichen Beispiele vorzeigend. Zu ausgewählten Dokumenten aus 650 Jahren erschien soeben eine von ihm herausgegebene Publikation. Das vor über 150 Jahren gegründete Maximilianmuseum, erst seit kurzem nach mehrjährigem Umbau wiedereröffnet, zeigt in den 30 Räumen um den glasüberdachten Hof eines alten Patrizierhauses in fünf Abteilungen Skulpturen, wissenschaftliche Instrumente, Goldschmiedearbeiten und viele andere Erzeugnisse der Kunsthandwerker und der Zünfte. In der stadtgeschichtlichen Abteilung sind Architekturmodelle von Elias Holl und einzigartige technische Modelle aus dem 18. Jahrhundert zu sehen. Ein weiterer Anziehungspunkt war die Universitätsbibliothek, wo die 1980 für 40 Millionen DM vom Freistaat Bayern erworbene Oettingen-Wallersteinsche Bibliothek geschlossen aufgestellt wurde. Einst für ihre große Anzahl von Musikalien berühmt, bilden aber 117 000 Drucke des 16. bis 19. Jahrhunderts sowie 1600 Handschriften und 1300 Inkunabeln den Hauptteil des Bestandes. Darin sind unter anderem die Bücher aus fünf schwäbischen Klosterbibliotheken enthalten. Den Pirckheimern wurden repräsentative Werke ausgelegt, und man durfte sogar einen Blick in die Magazine werfen. Etwas außerhalb des Stadtzentrums fanden sich in einer stillgelegten Fabrikhalle zwei Gruppen von Pirckheimern ein, um künftige Exponate eines im Aufbau befindlichen Museums zu sehen. Das Ende 2008 zu eröffnende „Bayerische Textil- und Industriemuseum“ (tim) wird das seit dem Ende des 18. Jahrhunderts angelegte Musterbucharchiv der Neuen Augsburger Kattunfabrik aufnehmen. In über 550 dickleibigen Folianten sind hier etwa 1,3 Millionen Stoffmuster in allen denkbaren Farben und Formen als Zeichnungen oder Stoffproben aufbewahrt. Dr. Monika Fahn schilderte die traditionsreiche Geschichte der Textilindustrie in Augburg und Umgebung, schließlich kamen auch die reichen Fugger aus einer Weberfamilie. Den Ausflug in dieses Randgebiet des Buch- und Kunstschaffens mußte wohl niemand bereuen.  Einem der großen Söhne der Stadt, Bertolt Brecht, war eine eigene Wanderung gewidmet: „Spurensuche in Sachen B.B.“ (Anderen großen Söhnen wie Hans Holbein, Leopold Mozart, Eugen Diesel oder auch Caspar Neher mußte man sich selbst zuwenden.) Mit Brechtmütze, Zigarre zerknautschter Aktentasche und umgehängter Gitarre erschien der Schauspieler und Brecht-Kenner Jochen Schneider zum vereinbarten Zeitpunkt am Rathaus und zog dann, nach akustischem Kampf gegen das Glockenspiel des Perlachturms, mit geschulter Stimme unentwegt Brecht singend und rezitierend, mit seinem Anhang zu den Stätten des jungen Brecht (vom Kindergarten bis zum Stammlokal) in den verwinkelten Gassen der Augsburger Unterstadt. Nicht ohne Rührung hörten wir, nach dem Besuch der Barfüßerkirche, Brechts Konfirmationsstätte, im stillen, weinumrankten Hofgarten der Gemeinde die un-vergängliche Erinnerung an die Marie A. Nicht weit davon, vor Brechts Geburtshaus Auf dem Rain 7 (seit 1985 Gedenkstätte) endete dann die Führung mit dem lautstark geschmetterten Solidaritätslied, das sich hier in dieser Umgebung und Stunde sehr seltsam ausnahm. Oben am Obstmarkt erwartete derweil der Buchhändler Kurt Idrizovic, Herausgeber der Dreigroschenhefte, in seinem Brechtshop die Pirckheimer, um ihnen ein „brechtiges“ Geschenk zu machen und mancher Brecht-Freund fand auch hier noch eine Rarität. Aber auch andere Antiquariate, Märkte, Kirchen, Museen, Kaffee- und Biergärten lockten die Pirckheimer von ihren Wegen ab. Mit weit offenen Türen präsentierte sich so das Ladengeschäft des in Augsburg ansässigen Weltbild-Verlags, der mit seinen Billigprodukten ganz Deutschland beglückt. Doch vielleicht sollte man sich auch daran erinnern, daß er 2004 eine sehr preiswerte Lizenzausgabe (von Taschen, Köln) der Schedelschen Weltchronik von 1493 herausbrach-te, eingeleitet und kommentiert von Stephan Füssel. Auf den Blättern 91/92 findet man die erste halbwegs realistische bildliche Darstellung Augsburgs (Augusta) auf einem doppelseitigen kolorierten Holzschnitt. Dieses berühmte Buch ging schon 1496 in einer deutschen, etwas verkleinerten Ausgabe von Augsburg aus in die Welt, gedruckt bei Johann Schönsperger, für den auch Hans Burgkmair, ein weiterer großer Sohn der Stadt, arbeitete. Der Abend vereinte wieder alle Fuß- und Rückenlahmen im gemütlichen Bräustüberl zum Thorbräu zu einem zwanglosen und entspannten Beisammensein, zu Gesprächen bei schwäbischen Gerichten und Bieren des Hauses. Einziger Tagesordnungspunkt war die Auktion, zu der der Vorsitzende einlud. Das maßvolle Angebot machte sie nicht zu einer Strapaze, es wurde flott geboten und gab kaum Rückgänge. Bücher zu Kunst und kulturellen Themen, illustrierte Werke, so von Gunter Böhmer und Werner Klemke wurden beboten, eine Goltzsche-Mappe ging für 74 Euro ab, Die letzten Tage Napoleons brachten 16 Euro und zwei Bücher wurden einem eifrigen Bieter, dem jüngsten Teilnehmer des Treffens, einem neunjährigen Enkel eines Pirckheimers zugeschlagen. Um 22.30 Uhr kam das Ergebnis: 466 Euro flossen in die Vereinskasse. Sonntag, der 16., Abreisetag. Man räumte die Zimmer, aber eine Veranstaltung stand noch aus, die Festveranstaltung im Kleinen Goldenen Saal. Wir gingen am sonnigen Morgen durch die sonntäglich stillen Gassen der alten Reichsstadt: Am Katzenstadel, Lange Gasse, Alte Gasse, Jesuitengasse. Hier sollte es sein. Und schon strömten von verschiedenen Seiten die Pirckheimer herbei. Der Kaiser rief und alle, alle kamen. Es herrschte eine gewisse festliche Stimmung und dazu das – die Feder sträubt sich, es niederzuschreiben – schon obligatorische Pirckheimer-Wetter! Im zweiten Stock des stattlichen Hauses liegt der Saal, lichtdurchflutet, golden und gar nicht klein, ein prachtvoller Rokokosaal von 1765 mit riesigem Deckengemälde. An den Längsseiten je acht große Fenster, durch die man auf die roten Ziegeldächer der Umgebung und in den spätsommerlichen blauen Himmel blickt. Und nun wurde es richtig festlich. Junge Musiker betraten die Bühne. Das Werner Egk-Quartett unter der Leitung von Jakob Janeschitz spielte Werke von Wolfgang Amadeus Mozart (sein Vater Leopold hatte in diesem Hause seine Ausbildung erhalten) und Werner Egk, der ebenfalls hier Schüler war (Abitur 1920). Dr. WK leitete mit persönlichen Worten über Konrad Peutinger und Willibald Pirckheimer, das Peutinger-Gymnasium und seinen Schüler Paul Wengert, der heute der Oberbürgermeister von Augsburg ist, die Veranstaltung ein. Dann überbrachte Eva Leipprand, 3. Bürgermeisterin und Kulturreferentin der Stadt, die Grüße ebendieses OB. Sie sprach zur Rolle der Schrift und der Schriftlichkeit, über Augsburg als Drucker- und Verlagsstadt mit dem Akzent auf Bücher in deutscher Sprache, den Notendruck und Höhepunkte wie Hans Burgkmair mit dem Theuerdank. Aus Augsburg kommen auch das erste Liederbuch und das erste Schwimmlehrbuch. In ihrem Festvortrag Schriftgestaltung. Funktion, Geschichte, Spuren in Augsburg gab Prof. Lisa Beck, emeritierte Dozentin für Graphik-Design an der Fachhochschule Augsburg, eine breitangelegte Übersicht über die Entwicklung der Schrift weltweit seit der Urzeit und kam über die Augsburger Traditionen, ihre Pflege in der Kunstschule bis zur heutigen Fachhochschule und ihrer persönlichen Rolle darin zu einer faszinierenden Augsburger Konfession der besonderen Art! Als Hausherr sprach abschließend Pater Albert Löscher, OSB, Konrektor am St. Stephan-Gymnasium, zur Geschichte des Kleinen Goldenen Saales. Ursprünglich für das Jesuitengymnasium St. Salvator erbaut, war der Saal von Anfang an Mehrzweckraum für Theater, Versammlungen, Gottesdienste. Nach dem Verbot der Jesuiten lange Zeit ohne Schulzugehörigkeit, wurde er erst 1832 von König Ludwig I. den Benediktinern übergeben, die ihn bis heute für das St. Stephan-Gymnasium nutzen. Mit der Erläuterung des Deckengemäldes und der lateinischen Inschriften des Saales durch Pater Albert fand das Treffen einen erhebenden und zukunftsgewandten Abschluß; die Immanuel- Verheißung des Propheten Jesaja möge auch den Pirckheimern Butter und Honig bescheren. Um die Mittagsstunde gab es viel gegenseitigen Dank, Verabschiedungen und Verabredungen, man ging auseinander, um sich zufällig bald wieder in Kirchen, Museen oder Cafes zu begegnen. Augsburg erwies sich als eine so geschichts- und kulturträchtige Stadt, daß ein dreitägiges Treffen nur Einblicke geben konnte und mehr Anregung als Erfüllung bot. Wer konnte, blieb noch einen Tag länger und besuchte vielleicht noch die imposante St. Ulrich und Afra-Kirche mit den Heiligengräbern oder die Stätten der Reformationsgeschichte, die Fuggerhäuser, das Schaezlerpalais mit dem Fugger-Porträt von Abrecht Dürer oder – was hat Augsburg weltbekannt gemacht? – die Puppenkiste mit dem Puppentheatermuseum. Konrad Hawlitzki