Wolfgang Kaiser, Klaus G. Saur

Zum Tod von Werner Schuder

 

„Denn wir alle wissen, welch Glück es bereitet, wenn man sich ... zurückzieht ... in die Einsamkeit seiner Bibliothek, wenn man zu einem Buch greift, zärtlich mit der Hand über den kostbar gestalteten Einband streicht, behutsam die Seiten öffnet und eintritt in den Dialog mit einem der großen Dichter und Denker der Vergangenheit oder der Gegenwart – wenn man eintaucht in die Welt des Geistes. Es kann sein wie der Einblick in das Paradies. Man glaubt, glücklich zu sein. Und in solchen Augenblicken ist man glücklich ...“ Werner Schuder schrieb diese Worte zum Geburtstag eines anderen Berliner Bibliophilen, aber sie könnten auch auf ihn bezogen gewesen sein. Er, dessen ganzes Leben dem Buch verbunden war, war wohl ein glücklicher Mensch. Am 20. Oktober ist er aus dem Schlaf nicht mehr erwacht.

Nach Ausbildung und Studium war er zunächst Bibliothekar an der Universitätsbibliothek Berlin, Dozent an der Bibliotheksschule der Staatsbibliothek und dann Redakteur und Verlagsdirektor bei Walter de Gruyter. Im Ruhestand engagierte er sich intensiver in der Theodor-Fontane-Gesellschaft und vor allem im Berliner Bibliophilen Abend (BBA), in dem er Vorstandsmitglied, Ehrenmitglied und Publikationsbeauftragter war. Als einer der ersten Westberliner trat er noch 1989 der Pirckheimer-Gesellschaft bei; seine Unterschrift findet sich unter der im März 1992 beschlossenen Satzung. So wie er sich immer für bibliophile Kontakte und Freundschaften eingesetzt hatte, so engagierte er sich ab 1990 für das Zusammenfinden der Bibliophilen aus Ost und West. Er war die treibende Kraft der Berliner Bibliophilenrunde, zu der sich in den neunziger Jahren Bücherfreunde aus beiden Berliner Stadthälften in einer Kreuzberger Gaststätte trafen.

Ich habe Werner Schuder erst nach Abschluß seines Berufslebens kennengelernt. Der kleine, stets freundliche Mann mochte es nicht, im Mittelpunkt zu stehen, dies entsprach nicht seiner bescheidenen Art. Es war auf einer der vielen wunderbaren Exkursionen, die er organisierte (Wiepersdorf, Wolfenbüttel, Schloß Burgk und viele andere), wo er mir in einem längeren Gespräch aus seinem vielfältigen Berufsleben berichtete. Irgendwann erzählte er auch die Anekdote, daß er einmal lange gezögert hatte, Günter de Bruyn wegen eines Gefallens anzusprechen (natürlich im Interesse der Bibliophilie). Als er dies dann endlich tat, stellte sich heraus, daß der junge de Bruyn als angehender Bibliothekar bei Schuder in die Geheimnisse der Bibliographie eingeweiht worden war.

Unvergessen werden allen Gästen die bibliophilen Abende in seinem geräumigen Haus in Berlin-Lichterfelde bleiben, bei denen häufig von Werner Schuder herausgegebene Veröffentlichungen des BBA vorgestellt und überreicht wurden. Es war nicht zuletzt die Gastfreundschaft auch seiner Frau, die diese Abende – nicht nur bibliophil – so genußreich machte.

Abschluß und Höhepunkt der Veröffentlichungen Werner Schuders war der Band De Litteris et Libris. Betrachtungen und Reflexionen aus fünf Jahrzehnten, den er zum Endes des Jahres 2004 erscheinen lassen konnte. In ihm faßte er Vorträge, Vor- und Nachworte sowie sonstige Artikel zusammen, die seine vielfältigen Interessen widerspiegeln.

Bis zuletzt war er geistig rege und aktiv, auch wenn sein nachlassendes Gehör ihn vom früher regelmäßigen Besuch bibliophiler Veranstaltungen abhielt. Da er ganz in meiner Nähe wohnte, brachte ich ihm in den letzten Jahren die Marginalien häufig selbst vorbei. Wenn er zu Hause war, wurde ich stets auf ein Glas hereingebeten. Er ließ sich Bericht erstatten, fragte nach, gab Ratschläge und war immer hilfsbereit. Kurze Zeit vor seinem Tod geschah dies zum letzten Mal, als ich ihm ein Foto zurückbringen konnte, das er mir für die Marginalien ausgeliehen hatte. Ich werde ihn in guter Erinnerung behalten.

Wolfgang Kaiser

 

Nach einer gründlichen Ausbildung im Bibliothekswesen und im Buchhandel trat er am 15. April 1954 in den Verlag ein und schied nach erfolgreicher, intensiver Tätigkeit am 31. Mai 1986 aus. Er war Herausgeber von Kürschners-Gelehrten- und Kürschners Literaturkalender, betreute die Sammlung Göschen, war zuständig im Verlag für die Gebiete Mathematik, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

Nebenamtlich war er Lehrbeauftragter an der Freien Universität und an der Hochschule der Künste für Bibliothekswesen und Informationswissenschaften. Er war ein umfassend gebildeter, ungewöhnlich interessierter Mensch. Seine Lieblingsgebiete waren die Buchgeschichte, die Bibliophilie, die Literaturwissenschaften und alle Publikationen von und zu Fontane.

Er hielt wunderbare Vorträge im Berliner Bibliophilen Abend, in der Pirckheimer-Gesellschaft und bei vielen anderen Gelegenheiten. Er hat vielen Kollegen den Weg in den Beruf geebnet und aufgrund seiner außerordentlichen Liebenswürdigkeit, seines Charmes war er ebenso beliebt wie anerkannt. Die Minerva-Handbücher, die Sammlung Göschen, und die Kürschner-Kalender sind mit seinem Namen auf das engste verbunden und nicht zufällig wurde er immer wieder als Josef Kürschner der Gegenwart bezeichnet.

Bis in sein hohes Alter nahm er außerordentlich rege am kulturellen und buchhändlerischen Leben in Berlin teil und gab mit großer Intensität und Begeisterung sein Wissen und seine Erfahrungen an jüngere Kollegen weiter. Der gesamte Buchhandel verdankt ihm sehr viel und den Verlag de Gruyter hat er entscheidend mitgeprägt.

Klaus G. Saur