Matthias Biskupek

Der Notizzettel steht Schmiere
oder: Was ist ein DDK?

Albumblatt für Harald Kretzschmar zum Geburtstag

Bei ihm gibt es immer was zu klauen. Der Mann, der heute 75 Jahre alt wird, hat so viele Bilder von der Welt in die Welt gesetzt, dass irgendwas immer ins Auge fallen muss. Zum Beispiel die Überschrift dieses Beitrags. Die habe ich aus einem Jahrzehnte alten Buch von ihm geklaut; »Augenblicke«, gesammelte Reiseskizzen in Bildern und Sätzen. Seine Augenblicke sind Schwarzweißskizzen, farbig Getuschtes und Sprach-Beobachtungen aller Art. Und immer stand der Notizzettel Schmiere.
Als ich bei einer Ausstellungseröffnung mal über ihn zu reden hatte, fand ich heraus, dass er ein DDK ist. Ein Deutscher Demokratischer Karikaturist. Den Ausdruck klaue ich jetzt bei mir selber und erkläre ihn:
Was zeichnet einen DDK aus? Dass er natürlich auch ein BRD ist, ein Bersönlich Redender Dresdner – man merkt an der weichen Anlautung im Bersönlichen, dass der DDK ein besonders verträglicher Landsmann ist, sozusagen das höchste und letzte Stadium des Staatsbürgers, wie ihn Sachsen nun mal ideal verkörpern. Dabei ist dieser sehr typische Sachse mit wendisch-slawischem Nachnamen sogar in Berlin geboren und lebt seit Jahrzehnten, wie viele kluge Sachsen, im Berliner Umland.
Ein DDK ist deutsch, also genau, pingelig, wie es bei den Kölnern heißt, wenn auch immer ein bissel hinterfotzig, wie es die Bayern nennen. Der DDK lässt sich nicht gern nachsagen, dass er einen Termin nicht hält, ein Format nicht füllt, eine Sache nicht auf den Punkt bringt, oder – einem Zeichner angemessen – den Schlussstrich nicht exakt ziehen kann.
Der DDK ist zudem demokratisch; ihm ist der Gegenstand seines Spottes relativ gleich, wenn er ihm nur eine lange Nase zeichnen kann. Drum heißt das bislang autobiografischste und jüngste Kretzschmar-Buch auch »Wem die Nase paßt«. Mein privates Antlitz hat er mir vorn ins Buch hineingezeichnet – das müssen alle erdulden, die ein Buch direkt bei ihm erwerben.
Der DDK hat aber auch ein Händchen fürs Wortspiel. Er kann die Tinte nicht nur als Zeichner nicht halten, sondern beschreibt kenntnisreich fremde Ausstellungen, ureigne Angelegenheiten und Welträtsel im allgemeinen. Und manchmal verbreitet er sich essayistisch, früher in der »Weltbühne«, jetzt gelegentlich im Nachfolger OSSIETZKY, aber auch in dieser Zeitung, als wollte er den Sinn des Spruches testen: Wer schreibt, der bleibt. Wer malt, kriegt bezahlt.
Apropos Wortspiel: Der DDK ist auch demokritisch. Das Volk passt ihm nicht immer. Ob es nun in Form von Repräsentanten präsidiert oder als kleinster gemeinsamer Vielschreier sich genau über jene Leute aufregt, die es doch gerade gewählt hat. Zum dritten und wichtigsten aber ist der DDK Karikaturist, folglich ungerecht. Ungerecht, wie wir das mögen, wenn es andere trifft: So isses, das muss man doch mal aufzeigen – bzw. aufzeichnen – das ist treffend, das ist gut, das ist scharf, das passt wie Faust aufs Auge!
Nur wenn der Karikaturist uns meint, da trifft er uns auf dem falschen Fuß. Da sind wir erstaunt und verschnupft: So kann man das doch nun nicht sehen – hat der was auf'm Auge? Das ist doch unpassend. Das ist nun wirklich nicht ausgewogen – und lustig schon gar nicht. Das ist überspitzt und überhaupt nicht mehr komisch.
Der DDK H.K. hat einen großen Nachteil. Er wird an seinen Porträtkarikaturen erkannt: Das kann nur vom Kretzschmar sein, sagen die Kenner und die Nichtkenner merken immerhin: Das ist nicht vom üblichen Pressezeichner, der einem Männel »SPD« auf den Bauch schreibt, und dem andern »CDU«, mit der krönenden Sprechblase: »Wollen wir mal ganz groß koalieren?«
Nein, Kretzschmar weiß um den Sinn des Wortes »Bildfindung«. Das hat mit seiner jahrzehntelangen Arbeit für den »Eulenspiegel« zu tun, denn die Porträtkarikatur dort – das war Kretzschmar. Seine Eulen-Leute vergrößerten sich mit der Lupe, knallten sich selber ein Buch an den Kopf oder tanzten als Fontäne auf dem Walfisch Brecht. In den Achtzigern knetete Kretzschmar sich seine Leute auch zurecht – es gibt bei ihm Böll, Cocteau und Joyce, alle in Terrakotta.
Man könnte meinen: Nun hat er ja alles ausprobiert! Wirklich? Klauen wir ihm noch mal drei Sätze: »Ich kann Bäume ausreißen, Häuser verschieben, aus einer Mücke einen Elefanten machen und umgekehrt. Nicht um zu lügen. Um der höheren Wahrheit willen.«

Quelle: ND-online  Neues Deutschland - Ausgabe vom 23. Mai 2006, Feuilleton