ND-online  Volksstimme - 23. September 2006, Kultur

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Ulrich Tarlatt: Maler, Grafiker, Bildhauer und Büchermacher Vor 15 Jahren stellte der Bernburger Künstler Ulrich Tarlatt seine Werke im Magdeburger Landtag aus. Das Ergebnis war ein handfester Eklat. Zwei Arbeiten, „Geiler deutscher Adler“ mit erigiertem Glied und „Lüstling“, ebenso deutlich ausgestattet, waren plötzlich verschwunden. Es hieß, der Künstler habe die Grenzen von Sitte, Anstand und Moral in den Augen einiger Abgeordneter überschritten und ihre Empfindungen schamlos verletzt. Nur der Druck der eben gerade gewonnenen Pressefreiheit und Freiheit der Kunst, machten den zensorischen Akt des Landtagspräsidenten rückgängig. Volksstimme wollte in Erfahrung bringen, was den Künstler im Jahre 2006 so um- und antreibt. Ulrich Tarlatt lebt abgeschieden in seinem holzgetäfelten Gehäuse mit künstlerisch bestücktem Garten am Rande von Bernburg. Die Saale fließt am anderen Ende der Stadt. Und doch: Der Künstler lebt mitten in der großen Welt, denn er holt sie sich kontinuierlich nach Bernburg. Tarlatt gibt nämlich seit 1989, zunächst gemeinsam mit dem Schriftsteller Jörg Kowalski, in der Edition Augenweide einen Almanach heraus, der als Jahrbuch aktuelle bildende Kunst und Literatur vereint. Damals noch als provokative Hinterfragung des DDR-Wortpaares „Weite und Vielfalt“ für Kunst und nun immer noch ein jährliches originales Künstlerbuch in einer Auflage von 75 Exemplaren. Ulrike Erber-Bader vom renommierten Deutschen Literaturarchiv zu Marbach bezeichnete diesen Almanach jüngst als „den wichtigsten gegenwärtigen Künstleralmanach im deutschsprachigen Raum“. So hohes Lob aus berufenstem Munde treibt natürlich an und bringt die Welt ins Haus, nicht nur aus dem deutschsprachigen Raum, versteht sich. Aus fast allen westeuropäischen Ländern, aber auch aus Russland, der Ukraine, der Tschechei, Ungarn, Indien, den USA und Kanada kommen Beiträge für das Künstlerbuch COMMON SENSE, das vieldeutig übersetzbar ist und in diesem Fall für „gesunder Menschenverstand“ steht. Die Vielheit der individuellen Beiträge verschmilzt zu einer ästhetischen Einheit, die beim Durchblättern den Kenner schaudern macht, eine Erregung schafft, die unaufhörlich Glückshormone produziert. Namen aus der internationalen Szene wie Per Kirkeby, Jürgen Brodwolf, Felix Droese, Bogomir Ecker, Walter Dahn, Bernd Zimmer, Walter Stöhrer, Gustav Kluge, Klaus Staeck, Carlfriedrich Claus, Claus Weidensdorfer stehen für künstlerische Qualität und auch Künstler aus dem Sachsen-Anhaltinischen wie Anette Groschopp, Jens Elgner, Hans-Hermann Richter, Olaf Wegewitz, Moritz Götze und natürlich Ulrich Tarlatt selbst stehen ihnen in keiner Weise nach. Unter den Literaten, die eigens für diesen Almanach neue Texte schufen, finden sich die vier Büchner-Preisträger Friederike Mayröcker, Sarah Kirsch, Durs Grünbein und Oskar Pastior, weiter Franz Mon, Gerhard Rühm, Peter Härtling. Auch hier machen aus Sachsen-Anhalt Andre Schinkel, Wilhelm Bartsch, Holger Benkel u.a. beste Figur. Über 400 lebendige Künstlerkontakte in alle Welt ist das Resümee von 18 Jahren. Über viele Jahre brachte Ulrich Tarlatt parallel zum Almanach auch eigene und andere Künstlerbücher in der Edition Augenweide heraus, über zwanzig sind es, heute konzentriert er sich vollkommen auf seinen Almanach. Jetzt, in Kürze, legt der Büchermacher Kettensäge und Pinsel beiseite, um den neuen Band 2006 fertig zu stellen. Dann geht es bis zum Dezember nur um COMMON SENSE. Was aber, das war ja auch die Frage, treibt den Künstler, den als Autodidakten seine Hallenser Kollegen in DDR-Zeiten um Himmelswillen nicht im Verband haben wollten? Natürlich macht er Ausstellungen, was die Arbeit aber eher belastet. Und er hatte Stipendien in Frankreich, Italien, den USA und auch in Wittenberg und im Künstler-Schloss Wiepersdorf. Aber wirklich gern ist er dann auch wieder in Bernburg, wo er seit zwei Jahren bildhauerisch und malerisch zum Thema Hain arbeitet. „HAIN ist der Bereich der Besinnung, des Schauens nach Innen aber auch in Vergangenheit und Zukunft“, lässt der Künstler wissen. Ihm geht es hierbei nicht mehr um das einzelne Werk, sondern um eine Installation oder gar ein Gesamtkunstwerk aus vielen Dingen, zu denen natürlich seine Plastiken aus verschiedensten Materialien wie Bronze, Keramik oder Holz und Malereien, zuweilen nur mit der Andeutung von geheimnisvollen Wesen gehören. Aber auch der Ort, an dem sie zu erleben sind, gehört zum Werk. Haine waren und sind heilige auch geheimnisvolle Orte, z.B. eingefriedet von Bäumen. Tarlatts Haus ist angefüllt mit Kunst aus anderen Kulturen, vor allem aus Afrika. Nicht selten benutzt er diese Kunst „der Spurensicherung“ für seine Werke, integriert sie in seinen Hain der Verinnerlichung. Auch gefundene Steine und andere Artefakte benutzt er für seine Inszenierungen. Menschliche Wesen, Tiere und Mischwesen kennzeichnen die Haine. Das, was zunächst ein einzelnes Sammlerstück schien, wirkt in der Installation intensiver. Jeder Hain den Tarlatt errichtet, ist anders, aber im Sinne der alten Haine etwas Verehrungswürdiges. Mit seinen aktuellen Arbeiten will Ulrich Tarlatt, offensichtlich etwas sanfter als vor 15 Jahren, unsere Empfindungen und Phantasien auf neue Weise anregen, uns vielleicht sogar für eine neue Spiritualität mittels Kunst gewinnen. Tarlatt zählt nicht nur zu den eigenwilligsten Künstlern in unserer Landschaft, sondern auch zu den produktivsten und vielseitigsten, die mehr machen, als darüber zu reden. Arbeiten befinden sich in privaten + öffentlichen Sammlungen, u.a. 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