ExpreSSreise durch die Pirckheimer-Geschichte - Von Carsten Wurm JUBELRUFE AUS BÜCHERSTAPELN DIE PIRCKHEIMER-GESELLSCHAFT EIN ALMANACH Herausgegeben im Auftrag der Pirckheimer-Gesellschaft von Carsten Wurm Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2006 ISBN: 3-447-05342-9 1955 Am 23. Mai 1955 tritt im Berliner Club der Kulturschaffenden (Jägerstraße 2-3) ein Initiativkomitee vor die Öffentlichkeit, um die Gründung einer „Pirckheimer-Gesellschaft zur Pflege des deutschen Buches im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ zu verkünden, wie in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften zu lesen ist. Mehrere Veröffentlichungen tragen schon das heute noch verwendete Signet mit dem Pirckheimer-Kopf von Werner Klemke. Dem Initiativkomitee gehören an: Bruno Kaiser, Direktor der Bibliothek des Marx-Engels-Lenin-Stalin-Instituts beim ZK der SED, Heinrich Löwenthal, Oberrichter beim Obersten Gericht der DDR, I. M. Lange, Cheflektor im Volk und Wissen Verlag Berlin, Wolfgang Richter, Cheflektor des Verlages Rütten & Loening Berlin, und Werner Klemke, Buchkünstler und spätere Professor an der Hochschule für angewandte Kunst Berlin-Weißensee. Zur Gründungsveranstaltung, die von einer Ausstellung zu Schillers 150. Todestag, mit alten Ausgaben hauptsächlich aus dem Besitz von Bruno Kaiser, in der Bibliothek des Kulturbundes begleitet wird, sind auf Grund verschiedener Pannen fast keine potentiellen Mitglieder gekommen. So wird die Wiederholung beschlossen. Das Vereinsrecht ist in der DDR außer Kraft gesetzt, deshalb wird die Pirckheimer-Gesellschaft von vornherein als Sektion des Kulturbundes etabliert. Das fällt den Gründern umso leichter, weil sie, fast alle Mitglieder der SED, die Bibliophilie in der sozialistischen Gesellschaft verankern wollen. Noch in diesem Jahr eröffnet das Initiativkomitee, zu dem der Finanzwissenschaftler Ernst Kaemmel stößt, in der Mittelstraße 29 ein Büro, das von der Sekretärin Editha Wollschläger geführt wird. Die alleinige Finanzierung übernimmt schon bald der Kulturbund. 1956 Am 29. Januar treffen sich im Café Budapest, Berlin, Stalinallee 165, etwa 80 Bücherfreunde, um die Pirckheimer-Gesellschaft in aller Form aus der Taufe zu heben. Das Präsidium besteht im wesentlichen aus dem Initiativkomitee, Kaiser, Löwenthal, Lange, Kaemmel und Klemke, mit Ausnahme von Wolfgang Richter, der sich noch im alten Jahr in den Westen abgesetzt hat und dort Cheflektor bei Ullstein wird. Die Festrede hält Arnold Zweig, der wie etliche andere Schriftsteller, darunter Louis Fürnberg und der damals noch unbekannte Johannes Bobrowski, Mitglied der Gesellschaft wird. Er holt bis in die Frühgeschichte der Menschheit aus, um die lange Tradition des schönen Buches zu beschreiben, und schließt mit einem Loblied auf Geist und Phantasie: „Am Ende wird der Geist den Säbel überwinden.“ Grußschreiben von Johannes R. Becher und Lion Feuchtwanger werden verlesen. Bruno Kaiser umreißt die Ziele und die Arbeitsaufgaben. Neben dem Bewahren des Bucherbes sieht er im Fördern des neuen Buches eine gleichrangige Aufgabe. Gewählt wird ein Geschäftsführender Vorstand, dem die Mitglieder des Initiativkomitees und Walter Berger, Ausstattungsleiter des Verlages Rütten & Loening, angehören, und ein 18 Personen umfassender Gesamtvorstand, dem außer den Genannten der Schriftkünstler Albert Kapr, der Kinderbuchverleger Alfred Holz, die Altverleger Heinrich F.S. Bachmair und Wieland Herzfelde, der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski und der Hauptdirektor der Deutschen Staatsbibliothek Horst Kunze angehören. Den Teilnehmern kann ein erster, bescheidener Druck übergeben werden: Friedrich Schiller, Herzog von Alba bei einem Frühstück auf dem Schlosse zu Rudolstadt im Jahre 1547, mit einem Holzstich von Werner Klemke. Außerdem können sie in der nahegelegenen Karl-Marx-Buchhandlung eine Don-Quixote-Ausstellung sehen, die hauptsächlich aus dem Besitz von Bruno Kaiser zusammengestellt worden ist. Am Jahresende zählt die Gesellschaft 94 Mitglieder, prognostisch werden „optimal“ nicht mehr als etwa 350 erwartet. In Leipzig und Radebeul bilden sich Pirckheimer-Gruppen, die ein eigenes Leben entfalten. Die Radebeuler Gruppe wird seit März von Paul Gimmel, Mitarbeiter der „Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse“, geführt, die Leipziger seit dem 2. Mai von dem selbständigen Antiquar Karl Markert. Besonders in Leipzig entwickelt sich rasch ein reges Vortragsleben. Am 5. Dezember spricht Albert Kapr über den Schreibmeister der Renaissance Johannes Neudörffer d. Ä. und am 14. Dezember Hans Lülfing über Bücher und Bücherfreunde im Zeitalter der italienischen Renaissance (vgl. Fünfunddreißig Jahre Bibliophilie in Leipzig). Der Naumburger Antiquar und Sammler Erwin Kohlmann veranstaltet fast im Alleingang von Juli bis September in den Staatlichen Museen Berlin eine Pirckheimer-Ausstellung mit historischen Spielkarten Des Teufels Gebetbuch, zu der Werner Klemke ein Plakat schafft (vgl. Veröffentlichungen und Gaben der Pirckheimer-Gesellschaft). Im Dezember und Januar des folgenden Jahres findet in der Staatsbibliothek eine stark beachtete Ausstellung zum neuen Kinderbuch statt, die von Horst Kunze im Auftrag der Bibliothek und in Zusammenarbeit mit der Pirckheimer-Gesellschaft veranstaltet wird. Den Katalog erhalten die Mitglieder als Jahresgabe (vgl. Veröffentlichungen und Gaben der Pirckheimer-Gesellschaft). 1957 Im Januar erscheint das erste Heft der Marginalien. Blätter der Pirckheimer-Gesellschaft im Selbstverlag der Gesellschaft. Die Redaktion der ersten beiden Ausgaben liegt in der Hand von Heinrich F.S. Bachmair, einst erster Verleger von Johannes R. Becher und Redakteur der bibliophilen Zeitschrift Der Bücherhirt. Auf Grund gesundheitlicher Probleme und der Anforderungen durch seine 1956 erst neu angetretene Stellung in der Deutschen Akademie der Künste gibt er die Redaktion wieder auf. Dabei spielen der schlechte Manuskripteingang und vielfältige Schwierigkeiten bei der Herstellung eine nicht zu übersehende Rolle. Die Marginalien widmen Bachmair nach seinem Tod im Jahr 1960 zwei wichtige Beiträge mit einer Bibliographie seiner eigenen Veröffentlichungen und einem Verzeichnis seiner Verlagsproduktion (Marginalien, 1963, H. 14, und 1966, H. 24) Die Radebeuler Pirckheimer-Gruppe publiziert einen eigenen kleinen Druck, eine in Radebeul von Jeanne Berta Semmig zum 80. Geburtstag von Hermann Hesse gehaltene Rede, die im Tessin auf wohlwollende Aufnahme stößt: Hermann Hesse. Ansprache zum 80. Geburtstag am 2. Juli 1957 (Marginalien, 1957, H. 3). Um ein Berliner Gruppenleben anzuregen, laden Ernst Kaemmel und Werner Klemke eine Anzahl von Mitgliedern in ihre Wohnungen, wo sie ihre Sammlungen vorführen (Marginalien, 1957, H. 2). Einige weitere Veranstaltungen dieser Art finden in den kommenden Jahren statt, werden aber von Horst Kunze (und anderen) als „bibliophile Teekränzchen“ strikt abgelehnt. 1958 Max Frank, Leiter der Bibliothek im Haus der Ministerien, übernimmt die Redaktion der Marginalien (vgl. Marginalien, 1977, H. 66). Unter seiner Leitung erscheinen zunehmend wichtige buchkundliche Aufsätze und auch Positionsbestimmungen zur Bibliophilie im Sozialismus. Das zeitgenössische Buchschaffen wird kritisch unter die Lupe genommen. Doch durch die Übernahme der Direktion der Landesbibliothek Gotha fehlt ihm ausreichend Zeit für die Redaktionsarbeit, so daß es zu Problemen mit der Fertigstellung der Hefte kommt, das Impressum spricht deshalb von „zwanglosem Erscheinen“. Die Mitglieder erhalten als Gabe den im Aufbau-Verlag publizierten Titel von Arnold Zweig Fünf Romanzen und das von der Gesellschaft verlegte Buch von Jürgen Kuczynski Sechs Generationen auf Bücherjagd, mit dem der Vorstand eine Reihe eröffnen will. Doch weitere Bände erscheinen nicht, wie überhaupt die eigene Publikationstätigkeit in der Pirckheimer-Geschichte künftig meist hinter den Erwartungen zurückbleibt (vgl. Veröffentlichungen und Gaben der Pirckheimer-Gesellschaft). Die führenden Pirckheimer-Freunde, wie Bruno Kaiser und Horst Kunze, publizieren in vielen Verlagen, so daß keine Zeit mehr für vereinseigene Drucke bleibt. Kuczynskis Buch verhilft der Familienbibliothek zu einem legendären Ruf. 1959 Am 18. Juli veröffentlicht Bruno Kaiser im Neuen Deutschland einen Artikel über die Notwendigkeit der Bibliophilie im Sozialismus. Der hilft in den kommenden Jahren immer wieder bei der Ausräumung von Vorurteilen unter den Funktionären, die Bibliophilie als bürgerlichen Snobismus ablehnen. Am 4. Dezember veranstaltet die Berliner Gruppe im Club der Kulturschaffenden einen Vortragsabend mit zwei Referenten, Horst Kunze, der über das Thema Broschiert oder nicht broschiert? spricht, und Lore Kloock, Verlagsleiterin, die ihren Verlag Rütten & Loening vorstellt (Marginalien, 1960, H. 7). Diese Art öffentlicher Veranstaltungen wird mit wachsendem Erfolg wiederholt und stiftet damit auch in Berlin die Vortragstradition der Pirckheimer-Gesellschaft.  In Leipzig findet die III. Internationale Buchkunst-Ausstellung (iba) statt, mit der die durch Krieg und deutsche Teilung schwer geschädigte Messestadt an ihre alte Größe anknüpfen will. Die Pirckheimer-Gesellschaft veranstaltet innerhalb der Leistungsschau die Ausstellung Auf den Zinnen der Partei – Ein Jahrhundert deutscher revolutionärer Lyrik. Hinter dem pathetischen Titel verbirgt sich ein Hauptinteressengebiet von Bruno Kaiser, der durch Editionen zur Literatur des 19. Jahrhunderts, besonders von Georg Herwegh und Georg Weerth, seit den fünfziger Jahren einen guten Ruf unter deutschen Philologen hat. Die Pirckheimer-Gesellschaft erhält aus Anlaß der Exposition eine Bronzemedaille. Goldene Medaillen erhalten Albert Kapr und Werner Klemke, deren Glanz auch auf die Pirckheimer-Gesellschaft ausstrahlt. 1960 Die Ausstellung Buch und Kitsch, bestückt von einer ganzen Reihe von Pirckheimer-Freunden, zieht im Zeitungspavillon am Bahnhof Friedrichstraße Tausende Besucher an und wird anschließend in acht weiteren Städten gezeigt (Marginalien, 1960, H. 10). Das erhaltene Gästebuch belegt, daß die pädagogische Absicht auch auf Kritik stößt: Mancher Besucher verteidigt seine Liebe zum Kitsch (vgl. Pirckheimer-Archiv, Nr. 46). Die Radebeuler Pirckheimer-Gruppe, seinerzeit etwa zehn Mitglieder zählend, wählt am 12. Juli Fritz Treu, Leiter einer Gewerkschaftsbibliothek, zum neuen Vorsitzenden (Marginalien, 1980, H. 80). Er organisiert über 20 Jahre lang eine Vielzahl von Veranstaltungen, von denen sich viele dem Thema Dresden, seiner Kunst und seinen Büchern widmet. In Leipzig spricht am 29. Januar der Schriftkünstler F. H. Ehmcke aus München auf einem Pirckheimer-Abend über den Buchillustrator Karl Rössing (vgl. Fünfunddreißig Jahre Bibliophilie in Leipzig). Gastvorträge aus dem Westen Deutschland sind in jenen Zeiten rar und bleiben deshalb bis zum Ende der DDR in der Regel publikumswirksame Ereignisse. Offenbar auf Initiative von Bruno Kaiser werden Johannes Dieckmann, Volkskammerpräsident, und Alfred Kurella, Leiter der Kulturkommission beim Politbüro der SED, für die Pirckheimer-Gesellschaft gewonnen und sogleich zu Ehrenmitgliedern erklärt (Marginalien, 1960, H. 10). Die Gründer der Gesellschaft suchen die Nähe zur Macht, um mit ihrer Hilfe ihre bibliophilen Interessen verwirklichen zu können. Später tritt ein weiterer Repräsentant der DDR der Gesellschaft bei: Lothar Bolz, langjähriger Minister für auswärtige Angelegenheiten und ein außergewöhnlich erfolgreicher Sammler von Druckgraphik. Wenige Erwählte, denen er seine Schränke öffnet, erzählen von außergewöhnlich wertvollen Blättern der Klassischen Moderne, etwa von Toulouse-Lautrec, und der frühen sowjetrussischen Kunst. 1961 Die Gesellschaft verschickt an die Mitglieder als Neujahrsgabe Frans Masereel und das Buch. Damit beginnt eine lange Tradition von Publikationen, meist in den Marginalien, und Vorträgen auf Pirckheimer-Abenden über den flämischen Buchkünstler. Als Vermittler betätigt sich oft Theo Pinkus, der Antiquar und Bücherfreund in Zürich, der auch an mancher Veranstaltung der Gesellschaft teilnimmt und manchmal für die Marginalien schreibt. In Leipzig wird Anfang Mai die „Zentrale Arbeitsgemeinschaft der Graphiksammler“ innerhalb der Pirckheimer-Gesellschaft gegründet. Sie will das Interesse an der Graphik wecken, die Kenntnis der graphischen Techniken verbreiten und das Sammeln anregen. Neben dem Sammeln von alten Blättern soll die Entwicklung der zeitgenössischen Graphik kritisch begleitet und unterstützt werden. Im Bericht von der Gründungsversammlung ist auch von einer geplanten „Pirckheimer-Presse“ die Rede. Den Vorsitz übernimmt der Kupferstecher Heinrich Ilgenfritz, Dozent an der Hochschule für Graphik und Buchkunst. Ihm zur Seite stehen der Kunsthistoriker Werner Timm, Berliner Kupferstichkabinett, und Gabriele Meyer-Dennewitz, Mitarbeiterin des Ministeriums für Kultur. Die letztere wird wenig später ersetzt durch den Leipziger Graphiker und Universitätsprofessor Hans Schulze. Besonders Timm entfaltet eine rege Vortrags- und Publikationstätigkeit für die Pirckheimer-Gesellschaft (Marginalien, 1961, H. 12 und 13). Am 10. Februar findet in Berlin der wohl erste Pirckheimer-Abend zu den „Schönsten Büchern“ des vergangenen Jahres statt (Marginalien, 1961, H. 12). Bruno Kaiser gehört von Anfang an zu den Juroren und leitet auch viele Jahre das einflußreiche Team, dem auch Albert Kapr, Werner Klemke, Horst Kunze, Ludolf Koven (Direktor des Akademie-Verlages) und andere Vorstandsmitglieder angehören. Veranstaltungen zu den „Schönsten Büchern“ gehören bald zu den festen Programmpunkten in den sich allmählich vermehrenden Pirckheimer-Gruppen. Ein Berliner Klubabend am 28. April gilt Bibliophilen Kleinigkeiten aus dem Expressionismus, zu dem der Literarhistoriker I. M. Lange seltene Drucke aus seinem Besitz mitgebracht hat. Der frühere Mitarbeiter der Buchhandlung „Die Aktion“ bricht eine Lanze für die literarische und künstlerische Strömung, die von der offiziellen Kulturpolitik der DDR noch abwertend behandelt wird. Wie an vielen Abenden holt auch Bruno Kaiser aus seiner legendären „dicken Aktentasche“ wichtige und ephemere Drucke zum Thema hervor (Marginalien, 1961, H. 12). 1962 Am 15. November spricht Wieland Herzfelde vor der Berliner Gruppe erstmals über die Geschichte seines Malik-Verlages (Marginalien, 1962, H. 14), viele weitere Malik-Abende mit und ohne ihn folgen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten, wie überhaupt die Geschichte der linken Verlage der Weimarer Republik ein bevorzugtes Betätigungsfeld für Sammler und Marginalien-Autoren wird. 1963 Im Heft 13 der Marginalien schreibt Horst Kunze Über Werner Klemke, hauptsächlich als Buchillustrator, und Renate Gollmitz veröffentlicht die Bibliographie seiner illustrierten Bücher. Diese Publikation wird nicht nur zur Keimzelle für mehrere Buchveröffentlichungen von Kunze über Klemke, sondern auch zur Anregung für viele Sammler, die Arbeiten des überaus produktiven Buchkünstlers vollständig zusammenzutragen. Ab Heft 14 werden die Marginalien von der Offizin Andersen Nexö, früher Haag-Drugulin, hergestellt und ab Heft 16 (1964) vom Aufbau-Verlag vertrieben. Zugleich übernimmt Horst Erich Wolter, der künstlerische Leiter der Offizin, die Gestaltung. Der Gutenberg-Preisträger des Jahres 1959 gehört zu den einflußreichsten Buchgestaltern der DDR. Schon mit seinem ersten Heft eröffnet er die lange Folge von beigebundenen „typographischen Beilagen“, auf feinerem Papier gesetzte bedeutsame oder kuriose Texte rund um das Buch, für die aus dem Fundus der Offizin alte Schriften ausgewählt werden. 1964 Ab Heft 15 liegt die Redaktion der Marginalien für die nächsten 35 Jahre in den Händen des Kunsthistorikers Lothar Lang, seinerzeit Dozent am Institut für Lehrerweiterbildung Berlin-Weißensee (später Pankow). Dort veranstaltet er in den sechziger Jahren zahlreiche Ausstellungen und Lesungen von neuer Kunst und Literatur. Seit diesem Jahrgang erscheint die Zeitschrift in schöner Regelmäßigkeit ununterbrochen viermal im Jahr. Heft 15 wartet mit der Malik-Bibliographie von Heinz Gittig auf, die - auch an anderer Stelle gedruckt - zum Handwerkszeug von mehreren Sammlergenerationen wird. 1965 Bibliophile Freuden heißt die Ausstellung der Pirckheimer-Gesellschaft auf der Internationalen Buchkunst-Ausstellung im Leipziger Messehaus am Markt, die mit einer Silbermedaille ausgezeichnet wird. Die damaligen Besucher besticht vor allem die Qualität der Exponate, zu denen einer der seltensten Goethe-Erstdrucke gehört: Epigramme (Venedig 1790). Der heutige Leser des Ausstellungsberichts staunt mehr noch über die Aussteller, unter anderem Wieland Herzfelde, Bruno Kaiser und Jürgen Kuczynski, Hans Baltzer und Werner Klemke – allesamt Pirckheimer-Freunde (Marginalien, 1965, H. 21). Unter gleichen oder verwandten Titeln folgen in den kommenden Jahrzehnten zahlreiche ähnliche Ausstellungen von Schätzen aus den Bücherschränken der Mitglieder. Am Rande der iba tagt am 3. Juli in Leipzig erstmals seit 1959 eine Mitgliederversammlung, an der auch Besucher aus dem Westen wie Jan Tschichold (Schweiz) teilnehmen. Den neuen Vorstand unter dem Vorsitz von Bruno Kaiser bilden Alfred Ernst (Stadtrat in Leipzig), Günter Hess (Bundessekretariat des Kulturbundes), Lothar Lang, Ernst Kaemmel, Albert Kapr, Werner Klemke, Wolfram Körner (Chirurg), Erwin Kohlmann, Ludolf Koven und Horst Kunze (Marginalien, 1965, H. 21). Den Vorsitz der Leipziger Gruppe übernimmt Rudolf Vogel, Direktor des Zentralantiquariats. 1966 Auf dem XI. Internationalen Exlibris-Kongreß in Hamburg wird am 28. Juli die Fédération Internationale de Sociétés d´Amateurs d´Exlibris (F.I.S.A.E.) gegründet. Neben der Deutschen Exlibris-Gesellschaft, die in diesem Jahr ihr fünfundsiebzigjähriges Bestehen feiert, gehört auch die Pirckheimer-Gesellschaft zu den Gründungsmitgliedern. In ihrem Namen überreichen Ernst Kaemmel und der Graphiker Hans Schulze eine von der Arbeitsgemeinschaft Graphiksammler herausgegebene Mappe mit Originalgraphiken von 18 Künstlern der DDR, darunter Ullrich Bewersdorff, Karl-Georg Hirsch, Heinrich Ilgenfritz, Rolf F. Müller, Hans Theo Richter, Max Uhlig, Heiner Vogel, Oswin Volkamer und Wolfgang Würfel (Marginalien, 1966, H. 24). Zu den alle zwei Jahre stattfindenden Kongressen darf auch künftig nur eine Delegation mit wenigen handverlesenen Mitgliedern reisen. Dennoch wirkt die Anbindung an die F.I.S.A.E. belebend auf die Pirckheimer-Gesellschaft. Kulturbund und staatliche Behörden fördern diese Kontakte, weil die DDR in jenen Jahren um ihre internationale Anerkennung wirbt und die gleichberechtigte Behandlung der Pirckheimer-Gesellschaft in der F.I.S.A.E. kurioserweise als diplomatischer Erfolg gewertet wird. Am 5. September übernimmt Rudolf Vogel, Direktor des Zentralantiquariats, die Leitung der Leipziger Ortsvereinigung (vgl. Fünfunddreißig Jahre Bibliophilie in Leipzig). Am selben Tag veranstalten die Leipziger Pirckheimer-Freunde das erste „Messetreffen der Antiquare und Bibliophilen“, zu dem Horst Kunze einen vielbeachteten Vortrag Bibliophilie im Sozialismus hält, veröffentlicht im Heft 26 der Marginalien und 1970 auch als Gabe der Pirckheimer-Gesellschaft, splendid gestaltet von Walter Schiller. Darin holt er die Bibliophilie aus ihrem Nischendasein, befreit sie von dem Geruch der bürgerlichen Vereinsmeierei und weist ihr eine wichtige Funktion bei der Überwindung der Entfremdung des Menschen von sich selbst im Sinne des frühen Marx zu (Marginalien, 1967, H. 25). Die Pirckheimer-Gesellschaft veranstaltet einen „Wettbewerb für Exlibris und Graphik des kleinen Formats“, an dem sich 45 Graphiker der DDR beteiligen. Den ersten Preis für Graphik erhält der junge Dresdner Künstler Max Uhlig, den ersten Preis für Exlibris der Geraer Rolf F. Müller (Marginalien, 1966, H. 23). Die Ausstellung reist jahrelang durch die Klubhäuser und kleinen Galerien des Landes. 1967 Als Neujahrsgruß erhält jedes Mitglied laut Marginalien (1967, H. 26) einen Holzstich von Heiner Vogel und als Jahresgabe ein Exemplar eines von drei Drucken der Hochschule für Graphik und Buchkunst, allesamt später gesuchte Titel: Dietmar Debes, Georg Göschen (1965), Maxim Gorki, Das Mädchen und der Tod (mit Holzstichen von Heiner Vogel; 1961) und Isaak Babel, Fünf Erzählungen aus Budjonnys Reiterarmee (mit Illustrationen von Rainer Herold; 1966). Am 17. März veranstaltet die Pirckheimer-Gesellschaft in Berlin eine Buchauktion, um Mittel für besondere Pläne zu erhalten. Unter den von Mitgliedern gespendeten Drucken befindet sich die Erstausgabe des Briefwechsels zwischen Goethe und Schiller (1828/29) aus dem Besitz von Arnold Zweig und zuvor von Cäsar Flaischlen. Mit Unterbrechungen werden solche Auktionen bis heute zum Wohle der Vereinskasse veranstaltet. Meist können die Teilnehmer ihre Erwerbungen zu Schnäppchenpreisen nach Hause tragen. Jürgen Kuczynski, der eine rigorose Haltung beim Sammeln hat, sprach sich vor der Auktion strikt dagegen aus, ein Buch aus seinem Bestand, und sei es auch nur eine Dublette, für diesen Zweck abzugeben: „Eine der Grundlagen jeder Bibliothek ist der feste Entschluß, Bücher zu entleihen, aber niemals auszuleihen und erst recht nicht für irgendwelche guten Zwecke abzugeben“ (Marginalien, 1967, H. 23). 1968 Das 3. Messetreffen in Leipzig vereinigt Wieland Herzfelde, Alfred Holz und Günter Billig (den künstlerischen Leiter von Philipp Reclam jun., Leipzig) zu einem Gespräch über die Lust, gute und schöne Bücher zu machen (Marginalien, 1968, H. 29). Mit dem 30. Heft (Juli 1968) ändert auf Vorschlag von Horst Kunze die Zeitschrift Marginalien ihren Untertitel in Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie. Damit einher geht eine stärkere Orientierung auf Buchkunst des 20. Jahrhunderts und die Gegenwartsszene. Das Heft enthält die bald viel benutzte George-Grosz-Bibliographie von Lothar Lang. Mit ihr wird die lange Reihe der Künstlerbibliographien eröffnet, manche davon ist ein Vademekum des Sammlers. Aus Anlaß des 60. Geburtstages von Herbert Sandberg gibt die Pirckheimer-Gesellschaft eine in Ganzleder gebundene, numerierte Ausgabe eines seiner Hauptwerke heraus: Der Weg, mit 70 Reproduktionen und einer Originalradierung Selbstbildnis 1967 (Marginalien, 1968, H. 32). Während dieses Buch zum günstigen Preis erworben werden muß, erhalten die Mitglieder als Gabe wahlweise das Ständebuch von Hans Sachs und Jost Ammann oder die von Werner Klemke illustrierte Ausgabe Facezien des Florentiners Poggio, beide Ausgaben von Edition Leipzig, die eine in Leder, die andere in Halbpergament (Marginalien, 1969, H. 33). 1969 Als Neujahrsgruß versendet die Gesellschaft eine Radierung des Dresdner Graphikers Max Uhlig, zusätzlich können die Mitglieder in begrenzter Zahl eine Lithographie von Frans Masereel erwerben (Marginalien, 1969, H. 34). Die Jahresgabe bildet die bereits erwähnte Buchausgabe von Kunze, Bibliophilie im Sozialismus, mit Illustrationen von Hans Baltzer, Karl-Georg Hirsch, Werner Klemke und vielen anderen. 1970 Nach Hamburg 1966 und Como 1968 nimmt in Budapest zum dritten Mal eine Delegation der Pirckheimer-Gesellschaft an einem F.I.S.A.E.-Kongreß teil. Wiederum überreicht sie eine reich bestückte Mappe mit Exlibris von Karl-Georg Hirsch, Gerhard Kurt Müller, Hans Schulze, Heiner Vogel, Oswin Volkamer und anderen. Die Auflage ist mit 300 Exemplaren so hoch angesetzt, daß Mitglieder der Gesellschaft die Mappe erwerben können. 1971 Am 12. Juni 1971 treffen sich 103 Pirckheimer-Freunde im Leipziger Klub der Intelligenz zur ordentlichen Mitgliederversammlung und damit zur ersten zentralen Zusammenkunft seit 1965. In der lebhaften Diskussion werden nicht nur Erfolge, sondern auch eine gewisse Stagnation angesprochen. Regelmäßige Klubabende gibt es nur in Berlin, Leipzig und Dresden-Radebeul. Geklagt wird darüber, daß von der Arbeit in Leipzig wenig in den Marginalien zu lesen ist. Die Drucke hat die Pirckheimer-Gesellschaft meist von anderen Institutionen wie der Staatsbibliothek und der Hochschule für Graphik und Buchkunst übernommen. Graphische Gaben und drei Mappen zu den Exlibris-Kongressen der F.I.S.A.E. entstanden jedoch in alleiniger Verantwortung der Pirckheimer-Gesellschaft. In den neuen Vorstand werden elf Mitglieder gewählt: Bruno Kaiser, Albert Kapr, Wolfram Körner, Erwin Kohlmann, Ludolf Koven, Horst Kunze, Lothar Lang, Hans Marquardt (Leiter von Philipp Reclam jun.), Fritz Treu, Rudolf Vogel und als Vertreter des Kulturbundes Gerd Haines. Neben einem Vortrag von Horst Kunze stehen eine Buchtombola, die Vorführung eines DEFA-Filmes über Werner Klemke und ein Besuch der iba auf dem Programm. Wichtigster Ertrag ist jedoch das Zusammensein, die Anknüpfung von Kontakten und Freundschaften sowie der Austausch über bibliophile Themen, so daß eine regelmäßige Ausrichtung von Jahrestreffen allgemein gewünscht wird (Marginalien, 1971, H. 44). Um das Zustandekommen dieser Treffen bemüht sich besonders der Stellvertretende Vorsitzende Wolfram Körner, Professor für Chirurgie und Sportmedizin im Regierungskrankenhaus Berlin. Auf der iba zeigt die Pirckheimer-Gesellschaft die Sonderausstellung Das Exlibris in der Deutschen Demokratischen Republik, zu der auch ein kleiner, von Lothar Lang herausgegebener Katalog erscheint. Dokumentiert werden Buchzeichen von 48 Graphikern und von zwölf Laienkünstlern. Im Ergebnis eines aus diesem Anlaß veranstalteten Wettbewerbs sind 240 Blätter eingegangen, von denen knapp die Hälfte in der Exposition gezeigt wird. Den ersten Preis erhält Elizabeth Shaw (Marginalien, 1971, H. 41). Am 12. Mai beginnt die Sächsische Landesbibliothek Dresden gemeinsam mit Dresdner Pirckheimer-Freunden eine Reihe von 40 Vorträgen zu bibliophilen Themen (bis 1990). Helmut Deckert, der Stellvertretende Direktor der Bibliothek, spricht am ersten Abend über die Bibliophilie in Dresden seit der Renaissance. Er wird auch künftig häufig die Veranstaltungen bestimmen (Marginalien, 1971, H. 43; 1991, H. 121). Weiterhin fahren die rund 20 Dresdner Mitglieder zu den Veranstaltungen der seit 1956 bestehenden Ortsgruppe Radebeul (Vorort von Dresden). Als Jahresgabe 1971/72 erhalten die Mitglieder die von Lothar Lang zusammengestellte und kommentierte Kleine Holzstichmappe mit Originalen von Karl-Georg Hirsch, Christa Jahr, Werner Klemke, Gerhard Kurt Müller, Heiner Vogel und anderen, hergestellt in der Druckwerkstatt der Hochschule für Graphik und Buchkunst (Marginalien, 1972, H. 46). Im Dezember verschickt die Gesellschaft ihr erstes Sammlerverzeichnis mit Angaben von Sammelgebieten. Darin findet sich auch Gerhard Ströch, der umfangreiche Interessen angibt: von Jean Paul und den Romantikern über Stefan George und Rudolf Borchardt, Theodor Däubler und Walter Hasenclever bis zu Samuel Beckett und Arno Schmidt, außerdem illustrierte Ausgaben vom Jugendstil bis zum Dadaismus, Autographen sowie Druckgraphik und Zeichnungen der letzten hundert Jahre. Dahinter verbirgt sich Gerhard Altenbourg, der zwar am Leben der Pirckheimer-Gesellschaft keinen weiteren Anteil nimmt, aber von vielen Sammlern hoch geschätzt wird. 1972 Die Pirckheimer-Gruppe Radebeul unter Federführung von Fritz Treu richtet zusammen mit Lothar Lang (Berlin) im barocken Jagdschloß Moritzburg bei Dresden eine neue Ausstellung Sammlerfreuden ein. Auf zwei Etagen zeigen vom 9. September bis 5. Februar kommenden Jahres Buch- und Graphiksammler aus Dresden und Umgebung sowie aus Berlin und Leipzig ausgewählte Stücke aus ihren Sammlungen. Die Besucher sind beeindruckt durch viele Dresdensia, die Sammlung Wein von Hellmuth Rauner (Radebeul) und die Abteilung Graphik und Plakat, die Bruno Kaiser, Lothar Lang sowie die Graphiker Herbert Sandberg und Heiner Vogel bestückt haben (Marginalien, 1972, H. 47). Im Zusammenhang mit der Ausstellung finden sich am 4. und 5. November über 200 Teilnehmer zum Jahrestreffen der Pirckheimer-Gesellschaft in Dresden ein. Helmut Deckert hält noch einmal seinen Vortrag Zur Geschichte der Bibliophilie in Dresden, und in der Landesbibliothek erwartet die Gäste ein umfangreiches Besichtigungsprogramm (Marginalien, 1972, H. 49) Hellmuth Rauner gestaltet einen Weinabend mit Proben von seltenen sächsischen Reben. 1973 Anfang Mai konstituiert sich in Magdeburg eine Pirckheimer-Gruppe, die aus dem Freundeskreis Bildende Kunst im Kulturbund hervorgeht. Erster und langjähriger Vorsitzender ist der Arzt Joachim Bartels, ein Sammler von neuerer Graphik, besonders aus Litauen (Marginalien, 1974, H. 55 und 56). Auch in Zwickau und seit diesem Jahr in Zittau gibt es kleinere Ortsgruppen, die eine Zeitlang Veranstaltungen für Bücherfreunde durchführen (Marginalien, 1972, H. 46, bzw. 1974, H. 53). In Zittau finden Vortragsabende und Ateliergespräche statt, wird im Zusammenwirken mit der Christian-Weise-Bibliothek die regionale Buchszene und -geschichte erkundet und mehrmals ein Graphikmarkt organisiert (Marginalien, 1985, H. 99; 1988, H. 110). In Weimar wird am 22. September auf Einladung der Zentralbibliothek der deutschen Klassik das „Erste Thüringer Treffen“ der Pirckheimer-Gesellschaft veranstaltet. Ein Arbeitskreis wird gebildet, den ab 1974 der Schriftsteller Franz Hammer (Vorsitz), Konrad Kratzsch (Stellvertretender Direktor der Zentralbibliothek) und Günter Burgmann leiten (Marginalien, 1973, H. 53 und H. 55). Die Magdeburger Gruppe hat sich sogleich mit der Ausrichtung eines Jahrestreffens in ihrer Heimatstadt zu bewähren. Am 3. November reisen wieder über 200 Mitglieder und Angehörige an. Neben einem Festvortrag von Hans Lülfing (Deutsche Staatsbibliothek zu Berlin) über die Magdeburger Buch- und Verlagsgeschichte beeindruckt die Teilnehmer vor allem eine opulente Ausstellung aus Magdeburger Sammlerbesitz mit alten und neuen Magdeburger Drucken, litauischer Druckgraphik und einer umfassenden Dokumentation über die Magdeburger Künstlergruppe „Die Kugel“, hauptsächlich aus den Sammlungen der ortsansässigen Sammler Frithjof Meußling, Fotograf, und Bruno Beye, Graphiker und letztes lebendes Mitglied der „Kugel“. Die Gabe, eine Mappe mit Graphiken von neun Magdeburger Künstlern, ergänzt das Gesehene (Marginalien, 1974, H. 53). 1974 Am 15. Mai nimmt in Rostock eine Ortsgruppe von zunächst 13 Mitgliedern ihre Tätigkeit auf. Sie wird von Johannes Lischke, dem Leiter des Norddeutschen Antiquariats, geführt (Marginalien, 1974, H. 56; 1986, H. 102). - Am 22. und 23. Juni treffen sich die Pirckheimer-Freunde zum Jahrestreffen in Thüringen, um die Residenz des kleinen Fürstentums Greiz und seine Kunstsammlungen kennenzulernen. Zweite Veranstaltungsort ist die nahegelegenen Bezirksstadt Gera. Der gewachsenen Bedeutung der Regionen entsprechend, gehören von nun an die Vorsitzenden der größeren Gruppen zum erweiterten Vorstand von seinerzeit 15 Mitgliedern. Zum geschäftsführenden Vorstand werden gewählt: Bruno Kaiser, Wolfram Körner, Horst Kunze und Lothar Lang. Ehrenmitglied der Gesellschaft wird der frühere Direktor des Akademie-Verlages Ludolf Koven, der nach langer Mitarbeit aus Altersgründen den Vorstand verläßt (Marginalien, 1975, H. 57). Bibliophile Vereinigungen leiden im allgemeinen an Überalterung. Doch einer Mitgliederbefragung des Sekretariats zufolge weicht die Pirckheimer-Gesellschaft von diesem Generalverdacht Mitte der siebziger Jahre erfreulich ab. Etwa 70 Prozent der Mitglieder sind 1974 weniger als 50 Jahre alt, ein Dutzend wohl sogar unter 30. Ganz exakt heißt es, daß 119 Mitglieder zwischen 31 und 40 Jahre alt sind. Neben vielen Professoren sind auch Lehrer, Buchhändler, Bibliothekare, Werkzeugmacher, Ingenieure, Chemiker in der Gesellschaft vertreten. (Marginalien, 1975, H. 57). Am 3. Oktober wird in Moskau die „Allunionsgesellschaft der Bücherfreunde“ gegründet, die erste landesweite bibliophile Gesellschaft in der Sowjetunion. Sie gibt die Wochenzeitung Knishnoje Obosrenye (‚Buchrundschau´) heraus. Für diese Gesellschaft und ihr Publikationsorgan dienen die Pirckheimer-Gesellschaft und die Marginalien als Vorbild. Mit dem Verweis auf die Bibliophilie in der DDR gelang es den Initiatoren, die langanhaltende Antipathie der sowjetischen Kulturpolitik gegen das „bürgerliche Relikt“ auszuräumen (Marginalien, 1975, H. 58). Frei nach einer bekannten Losung darf resümiert werden: Von den Pirckheimer-Freunden lernen heißt siegen lernen. 1975 Am 5. Februar konstituiert sich in Halle / Saale eine Bezirksgruppe, die von dem Altphilologen Wolfgang Kirsch geführt wird. Er wird assistiert von dem Landwirtschaftswissenschaftler Karl-Diether Gussek, Sammler von agrarwissenschaftlicher Literatur, bald auch von Weinliteratur, und dem Bibliothekar Peter Henning, Sohn des weit über Halle hinaus bekannten Galeristen Eduard Henning (Marginalien, 1975, H. 58). Im Herbst findet sich auch in Karl-Marx-Stadt auf Initiative von Bertram Winde, Professor für Physik an der dortigen Technischen Hochschule, der zum Vorsitzenden gewählt wird, eine Bezirksgruppe zusammen. Das Jahrestreffen in Berlin vom 14. bis 16. November erzielt einen neuen Rekord an Teilnehmern: 356 Teilnehmer sind angereist. Höhepunkt des Ereignisses ist der I. Berliner Graphikmarkt, der auf Initiative von Lothar Lang ausgerichtet worden ist. Ein ausschließlich aus Sammlern bestehendes Organisationskomitee unter Leitung von Peter Röske, mit Ekkehard Hellwich, Brunhilde Pritze, Gudrun Schmidt und Robert Wolf, zeichnet verantwortlich. Zeitweilige ist an der Vorbereitung auch der Illustrator Thomas Schleusing beteiligt. Von 788 Blättern aus der Hand von 43 Berliner Künstlern, darunter Theo Balden, Manfred Butzmann, Fritz Cremer, Ruth Knorr, Klaus Magnus, Harald Metzkes, Arno Mohr, Hans Vent, werden 435 Graphiken verkauft. „Schon nach der ersten halben Stunde mußte der Saal im Berliner Club der Kulturschaffenden wegen Überfüllung vorübergehend geschlossen werden.“ Auch bei dem Sonderangebot des Zentralen Berliner Antiquariats unter Leitung von Gerhard Beinlich herrscht „lawinenartiger“ Andrang. Die Kauffreude ist Ausdruck dafür, daß in den Antiquariaten in dieser Zeit allgemeine Knappheit herrscht, weil die besten Stücke gegen hartes Geld nach dem Westen Deutschlands wandern. Die Festrede hält Jürgen Kuczynski, der über die Zukunft des Buches humorvoll plaudert. Als „Clou“ erleben die Mitglieder die Einladung in Wohnungen und Ateliers von profilierten Sammlern und Graphikern, wo ihnen ausgewählte Stücke in privater Atmosphäre vorgeführt werden. Gastgeber sind neben  Bruno Kaiser unter anderem der Kunstwissenschaftler und Graphiksammler Werner Timm, der Buchbindermeister Werner G. Kießig, die Graphiker Harald Metzkes und Arno Mohr. Ein „Sonderbus“ geht nach Freienbrink zu Lothar Lang (Marginalien, 1976, H. 61). 1976 Anläßlich des Internationalen Exlibris-Kongresses 1976 in Lissabon gibt die Pirckheimer-Gesellschaft den Exlibris-Almanach I heraus (Marginalien, 1976, H. 63 und 64). Mit fünf Folgeheften trägt er zum anhaltenden Interesse am Exlibris unter den Mitgliedern bei. Am 29. und 30. Mai veranstalten die Ortsgruppe Radebeul und die Galerie Nord unter der Leitung von Heidrun Plenkers und Werner Wittig den I. Dresdner Graphikmarkt, den 900 Interessenten besuchen. Wie in Berlin ist der Absatz überaus befriedigend. Neben Graphiken älterer Dresdner Künstler stehen die Blätter der Zeitgenossen Claus Weidensdorfer, Herta Günter und Werner Wittig hoch im Kurs (Marginalien, 1985, H. 99). Der 2. Berliner Graphikmarkt wartet mit einer Neuerung auf: Im Club der Kulturschaffenden ist eine Ausstellung Die Technik der Radierung aufgebaut. Die Verantwortliche, Gudrun Schmidt, Kunsthistorikerin und Mitarbeiterin der Akademie der Künste, hat aus diesem Anlaß eine instruktive Einführung in das Thema verfaßt, mit der die Pirckheimer-Gesellschaft die Heftreihe Kleine Graphik-Bibliothek eröffnet (Marginalien, 1977, H. 65 und 66). Zwölf weitere Ausstellungen und Hefte widmen sich den Techniken Lithographie, Holzschnitt, Aquarell und anderen Themen rund um die Graphik. Auch in Rostock erwartet die Pirckheimer-Freunde anläßlich des Jahrestreffens vom 1. bis 3. Oktober ein Sonderangebot, reichhaltig ausgestattet vom Norddeutschen Antiquariat. Die Inkunabel-Forscherin Ursula Altmann (Berlin) spricht über die Anfänge des Buchdrucks in der Hansestadt (Marginalien, 1977, H. 65). 1977 Das Jahrestreffen findet aus Anlaß der iba wieder in Leipzig statt. 337 Mitglieder erleben die Buchkunstausstellung, die im Unterschied zu der provinziell gewordenen Leipziger Buchmesse weltläufiges Flair ausstrahlt. Diesmal hat die Chronistin, Renate Gollmitz, einiges zu monieren: ein schlecht arrangiertes und bestücktes Buchangebot vom Zentralantiquariat, laute Tanzmusik beim Festabend im Hotel „Astoria“, und auch die Festansprache des Leipziger Stadtrats für Kultur, Rudolf Gehrke, über die Rolle des Buches nach dem IX. Parteitag hat offensichtlich wenig Begeisterung erweckt (Marginalien, 1977, H. 68). Am 14. Juni wird in Cottbus eine Bezirksgruppe gegründet, die von dem Wirtschaftler und Sammler der Insel-Bücherei Hans-Jürgen Schramke geführt wird. Die 14 Mitglieder haben ein Durchschnittsalter von 32 bis 33 Jahren (Marginalien, 1977, H. 67 und 68). Die Magdeburger Pirckheimer veranstalten am 26. November in der Club-Galerie „Otto-von-Guericke“ erfolgreich einen ersten „Kleinen Graphikmarkt“, dem weitere folgen werden (Marginalien, 1978, H. 71). Wolfram Körner hält am 7. Dezember in Berlin einen Vortrag Bücherliebe – Bücher der Liebe (Marginalien, 1978, H. 71), den er in den kommenden Jahren innerhalb und außerhalb der Pirckheimer-Gesellschaft vielfach wiederholen muß. 1978 Am 12. April wählt die Berliner Pirckheimer-Gruppe erstmals eine Leitung, die von Willy Unger, Bibliothekar in der Deutschen Staatsbibliothek und Sammler von Undine-Ausgaben und Literatur über Halle / Saale, geführt wird. Bisher wurde sie in Personalunion mit dem Vorsitz der Gesellschaft von Bruno Kaiser geleitet. Dieser bleibt auch weiterhin tonangebend in der Berliner Gruppe (Marginalien, 1978, H. 71). Zahlreiche Mitglieder versammeln sich vom 9. bis 11. Juni in Karl-Marx-Stadt, um sich mit den kulturellen Traditionen der während des Krieges stark in Mitleidenschaft gezogenen Industriestadt und der benachbarten Bergbau-Hochburg Freiberg bekannt zu machen. Den Festvortrag zum Thema Inkunabeln und naturwissenschaftlich-technische Zimelien aus den Beständen Freiberger Bibliotheken hält der Rektor der Bergakademie Freiberg, Klaus Strzodka. Eine Ausstellung im Schloßberg-Museum Karl-Marx-Stadt breitet eine Auswahl aus deren Schätzen aus. Andere Ausstellungen machen mit Künstlern um Karl Schmidt-Rottluff, dem bedeutendsten Künstler der Stadt, und mit Graphik zur Literatur bekannt. In Arbeitskreisen diskutieren die Teilnehmer neben den üblichen Themen Exlibris und Graphik auch über das Buch im Zusammenhang mit Natur, Wissenschaft und Technik. Ein eigener Kreis vereint junge Sammler, die sich über ihre Pläne austauschen (Marginalien, 1978, H. 72). 1979 Die Bezirksgruppe Halle veranstaltet ihren I. Graphikmarkt. Nach Querelen mit Funktionären in Dresden nimmt die Radebeuler Gruppe einen neuen Anlauf und organisiert in ihrer Stadt den 1. Radebeuler Graphikmarkt, an dem sich 24 Künstler mit 842 Blättern beteiligen. Die 552 Besucher kaufen 401 Graphiken (Marginalien, 1983, H. 90). Statistisch gesehen, gehen also beinahe vier von fünf Gästen mit einem Blatt nach Hause. Vom 14. bis 16. Dezember tagen die Pirckheimer in Schwerin, wo ein improvisiertes Programm ablaufen muß, weil das geplante Treffen in Thüringen ausfiel. (Angesichts der schwachen Kräfte von Gastronomie und Hotelwesen grenzt die erfolgreiche Verlegung an ein Wunder.) So treten als Vortragende und Ausstellende vor allem auswärtige Bibliophile auf. Höhepunkt ist der von Klaus Hermsdorff gegebene Überblick über Die Arbeit der Exilverlage während des Faschismus. Trotz intensiver Exilforschung in der DDR stellt das Thema ein Desiderat dar, an dem viele Sammler brennend interessiert sind. Kurt Stein, Leiter der Buchbinderwerkstatt der Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig, stellt seine Kunst vor, Karl Ludwig Schober, der bekannte Chirurg aus Halle / Saale, erläutert die Schwerpunkte seiner Graphiksammlung, und die Wissenschaftliche Allgemeinbibliothek öffnet ihre Pforten. Ein Abstecher führt nach Güstrow zu den Barlach-Gedenkstätten (Marginalien, 1980, H. 79 und H. 82). 1980 Das Jahrestreffen vom 31. Oktober bis 2. November in Halle / Saale steht unter dem Zeichen des 450. Todestages von Willibald Pirckheimer. Zwei Vorträge von Winfried Trillitzsch (Jena) und Horst Kunze erinnern an den Humanisten und Sammler sowie an Künstler in seinem Umkreis. Die Themen von sechs weiteren Vorträgen, die zur selben Stunde gehalten werden, zeigen ein breites Spektrum: die Bibliothek des Vatikan, Hermann Hesse, Graphik der École de Paris, Buchgestaltung und Autographensammeln. Zahlreiche Besichtigungen gelten den halleschen und merseburgischen Bibliotheken, Museen und Archiven (Marginalien, 1981, H. 81). Die Pirckheimer-Gesellschaft erhielt ihren Namen in Abgrenzung zur Maximilian-Gesellschaft, die sich 1912 den Kaiser Maximilian als Patron gewählt hatte. Bruno Kaiser und die anderen Gründer wollten mit der Berufung auf den Bürger-Sammler ein kritisches Zeichen setzen. Die Leipziger Gruppe wählt am 29. Januar eine neue Leitung, die von Horst Bunke (Vorsitz), Mitarbeiter der Deutschen Bücherei, und Herbert Kästner (Stellvertretender Vorsitzender), Mathematik-Dozent an der Universität, geführt wird. Danach entwickelt sich die organisierte Bibliophilie in Leipzig zu ungeahnten Höhen. Am 25. September gründet sich unter Beteiligung von Bertram Winde im Plauener Klub der Intelligenz eine Pirckheimer-Gruppe, die unter Leitung von Christoph Anstock die Sammler des Vogtlandes zusammenführt. 1981 Am 23. März eröffnet das Staatliche Museum Schloß Burgk ein Pirckheimer-Kabinett, das sich in den folgenden Jahren durch zahlreiche Ausstellungen und Kataloge zu einer wichtigen Institution der Bibliophilie entwickelt. Idee und Ausführung liegen in den Händen von Lothar Lang, der seit 1980 Direktor des Museums ist. Die erste Ausstellung gilt Meisterwerken der Buchillustration in der DDR. Schon am 15. Juni folgt Buchkunst bei Reclam. Die Kataloge des Pirckheimer-Kabinetts werden zu einem beliebten Sammelobjekt. Im September wird das Jubiläum 25 Jahre Pirckheimer-Gesellschaft mit einem Jahrestreffen in Berlin begangen. Horst Kunze zieht in seinem Festvortrag eine positive Bilanz: Ein wesentliches Verdienst sei, „daß Bibliophilie kein Fremdwort mehr ist, das man argwöhnisch betrachtet“. Bruno Kaiser gibt aus Rücksicht auf seine Gesundheit den Vorsitz der Gesellschaft ab und wird vom Präsidium des Kulturbundes zum Ehrenvorsitzenden der Pirckheimer-Gesellschaft berufen. Den Geschäftsführenden Ausschuß bilden Wolfram Körner (Vorsitz),  die Generaldirektorin der Deutschen Staatsbibliothek, Friedhilde Krause, Horst Kunze, Klaus Lenk und der Kunstwissenschaftler Hartmut Pätzke. In der Mitgliederversammlung wird Unmut über den steigenden Export von alten Büchern und Graphik in die Bundesrepublik laut. Das Angebot in den meist staatlichen Antiquariaten ist deshalb immer kümmerlicher. Eine Ausstellung würdigt das Pirckheimer-Jubiläum, andere zeigen Kostbarkeiten der Deutschen Staatsbibliothek und Ärzte-Exlibris (Marginalien, 1981, H. 84; 1982, H. 88). Am 21. November findet in Dresden das erste Bezirkstreffen statt, auf dem eine Bezirksorganisation Dresden ins Leben tritt. Ihr Vorsitzender wird der Buchhändler, Antiquar und Graphiksammler Manfred Artur Fellisch, der im Januar dieses Jahres schon die Radebeuler Gruppe aus den Händen von Fritz Treu übernommen hat (Marginalien, 1982, H. 86). Die drei Nordbezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg veranstalten ihr erstes  gemeinsames Jahrestreffen, das bis Ende der achtziger Jahre zu einer Institution wird. Auf Initiative der Rostocker Pirckheimer-Gruppe ist im vergangenen Jahr unter der Leitung von Johannes Lischke eine Bezirksgruppe gegründet worden, der es in den kommenden Jahren gelingt, weitere Ortsgruppen in Stralsund, Wismar und Greifswald zu bilden. Eine Sammlergemeinschaft „Küste“ wird unter Anteilnahme der Rostocker Pirckheimer-Freunde eingerichtet, die bald 250 Mitglieder in allen Landesteilen hat. Ziel ist die Vermittlung von neuen Graphikeditionen (Marginalien, 1986, H. 102). Die neu entstandene Bezirksgruppe Gera trifft sich auf Schloß Burgk zum ersten Jahrestreffen. 1982 Wieder gibt eine Internationale Buchkunst-Ausstellung Anlaß zu einem Jahrestreffen in Leipzig, vom 14. bis 16. Mai. Veranstaltungen zu Bernhard Heisigs Faust-Illustrationen und zur Editionsfolge Leipziger Bilderbogen machen mit neuen Aspekten der Leipziger Buchkunst bekannt. Albert Kapr spricht über Buchkunst auf der iba und Dieter Gleisberg über Max Klinger (Marginalien, 1983, H. 89). Neben einer Mappe mit Graphik zur Literatur von Leipziger Künstlern wie Egbert Herfurth, Karl-Georg Hirsch, Christa Jahr, Heiner Vogel und Volker Wendt erhalten die 412 Teilnehmer einen Sonderdruck des Reclam-Verlages, mit dem Hans Marquardt für die neue eingerichtete Dürer-Presse wirbt. Marquardt läßt in den kommenden Jahre weitere Sonderdrucke folgen, teilweise mit beigelegten Originalgraphiken. In der Deutschen Bücherei zeigen die Leipziger Pirckheimer die Ausstellung Sammlerfreuden. Am 20. Mai 1982 konstituiert sich im Frankfurter Klub „Johannes R. Becher“ eine Bezirksgruppe Frankfurt (Oder), die von dem Mitarbeiter des Bezirksmuseums Horst-Jürgen Schmidt (Vorsitz) und dem Buchhändler Hans-Jürgen Rehfeld geführt wird. Am 17. Juni bildet sich in Stralsund unter der Leitung von Gisela Klostermann, Wissenschaftlicher Mitarbeiterin im Stadtarchiv, eine Pirckheimer-Gruppe. Am ersten Abend spricht Konrad Kratzsch über Goethe und die Weimarer Republik (Marginalien, 1983, H. 89, und 1998, H. 149). 1983 Die Jahrestreffen werden zunehmend ein logistisches Problem. In der DDR gibt es zu wenig Hotels mit zu wenig Betten, die fast immer belegt sind. So muß die Teilnehmerzahl des Treffens in Potsdam vom 14. bis 16. Oktober auf 200 begrenzt werden. Die Festvorträge gelten den Neuruppiner Bilderbogen (Lisa Riedel, Museumsdirektorin in Neuruppin) und dem unverkennbar preußischen Thema Alte deutsche Militärliteratur (Helmut Schnitterer, Oberstleutnant vom Militärgeschichtlichen Institut). Das Potsdamer Antiquariat eröffnet am Sonntag früh zu einem gut ausgestatteten Sonderverkauf. Lange vor Beginn bildet sich eine Schlange von „erheblicher Stärke“ (Marginalien, 1984, H. 95). In Bautzen nimmt am 15. Juni ein Kreisverband die Arbeit auf, der sich vor allem der Pflege und Bewahrung des sorbischen Buches annimmt. Die Gruppe steht in engem Kontakt zum „Museum für sorbisches Schrifttum“ und zum Domowina Verlag. Die Cottbuser Bezirksorganisation zieht nach fünf Jahren Bilanz: Aus zehn Mitgliedern sind inzwischen 60 geworden. 54 Abende, zwei Graphikmappen, die Faksimileausgabe der 1787 erschienenen Gesammelten Nachrichten zur Geschichte der Stadt und Herrschaft Cottbus und ein Katalog zur Ausstellung Akt-Exlibris zeugen von einer regen Arbeit. Die Ausstellung im Schloß Branitz mit 300 Exlibris aus dem Besitz der Sammler Albrecht Scholz und Axel Leier wurde von 5000 Besuchern gesehen (Marginalien, 1982, H. 88). Am 16. November folgt die VI. Cottbuser Buch- und Graphikauktion (Marginalien, 1982, H. 89). Nachdem es bereits in Thüringen und Mecklenburg Treffen im Rahmen der alten Landesgrenzen gibt, veranstalten am 17. September erstmals die sachsen-anhaltischen Bezirksgruppen den ersten Magdeburgisch-Halleschen Pirckheimer-Tag, dem bis 1993 zehn weitere folgen werden (Marginalien, 1984, H. 94). In Rudolstadt stellt sich eine Pirckheimer-Gruppe mit einer Ausstellung zur graphischen Technik des Holzschnitts in der Kulturbund-Galerie „Heinrich Cotta“ vor. Zu sehen sind vom 4. November bis 2. Dezember Arbeiten von Gerhard Altenbourg, Karl-Georg Hirsch, Günter Huniat, Wolfgang Mattheuer, Harald Metzkes, Wilhelm Rudolph, Werner Wittig und anderen aus dem Besitz von Mitgliedern (Marginalien, 1983, H. 89). In Berlin übernimmt am 20. Januar der Kunsthistoriker Hartmut Pätzke die Leitung der Pirckheimer-Gruppe (Marginalien, 1983, H. 90). 1984 In Wismar nimmt am 18. Mai eine Pirckheimer-Gruppe von acht Mitgliedern die Arbeit auf (Marginalien, 1984, H. 93). In Wittenberg veranstaltet eine Pirckheimer-Gruppe am 10. April ihren ersten Abend. Rainer Behrends (Kustos der Universität Leipzig) spricht über das Fest-Epistolar Friedrichs des Weisen, soeben nach dem Original der Wittenberger Schloßkirche bei Edition Leipzig in Faksimile erschienen (Marginalien, 1984, H. 95). Elke Stiegler, Mitarbeiterin der Lutherhalle, leistet in den kommenden Jahren die Hauptarbeit, unterstützt von Hansjürgen Schulz, Direktor des Evangelischen Predigerseminars, und seiner Frau Erika, Bibliothekarin des Predigerseminars Wittenberg. Das Jahrestreffen findet vom 25. bis 27. Mai in Cottbus statt. Neben vielen Besichtigungen, Ausstellungen zum Exlibris im Bezirk Cottbus und zu Sammlungen Cottbusser Mitglieder gibt es Diskussionen in Arbeitsgruppen und Festvorträge zum sorbischen Buch (Peter Mahling vom Institut für sorbische Volksforschung), zur Kunst des Exlibris (Lothar Lang) und zu einem Gemälde von Carl Blechen im Schloß Branitz (Lothar Brauner). Trotz dieses reichhaltigen Programms resümiert die Chronistin, daß die Buch- und Graphikauktion das „spannendste Ereignis“ war (Marginalien, 1984, H. 96). Die Teilnehmer erinnern sich noch Jahre später an die Festtafel. Auszubildende haben als Gesellenstück ein aufwendiges Büfett mit vielen Darstellungen nach der Natur arrangiert. Den Höhepunkt des bibliophilen Jahres bildet der XX. Internationale Exlibris-Kongreß, der vom 25. bis 28. August von der Pirckheimer-Gesellschaft in Weimar ausgerichtet wird. Lothar Lang begrüßt als Präsident der F.I.S.A.E. 293 Teilnehmer aus 19 Ländern. Der Kulturbund finanziert großzügig alle Projekte. Mehrere Ausstellungen und Vorträge künden vom regen Exlibris-Leben in der DDR, so die Expositionen Die Kunst des Exlibris in der DDR aus den Beständen des Staatlichen Museums Schloß Burgk, Exlibris in Dresden von 1900 bis 1930 und Ärzte-Exlibris 1900 bis 1930 aus den Sammlungen des Dresdner Pirckheimer-Freundes Albrecht Scholz und seiner Frau Ingrid sowie die Älteste deutsche Exlibris-Sammlung aus dem Besitz des Berliner Pirckheimer-Freundes Bernhard Stübner. Eine Busfahrt führt nach Schloß Burgk, wo die Ausstellung Exlibris vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart zu sehen ist, eine zweite nach Eisenach zur Wartburg. Auf der Rückfahrt von dort wartet im Schlößchen Molsdorf auf die Exlibris-Freunde eine Ausstellung von 200 meist erotischen Exlibris von Franz von Bayros. Dresden hat wieder einen eigenen Graphik-Markt, der sich schnell zu einem bedeutenden Ereignis im bibliophilen Jahr entwickelt und bis heute eine Institution geblieben ist. Eine Arbeitsgruppe der Pirckheimer-Gesellschaft und der Hochschulgruppe des Kulturbundes unter Leitung von Glaubrecht Friedrich (Kupferstich-Kabinett Dresden), mit Andreas Dehne, Norbert Köppe, Gerhard Tietze, Claus Weidensdorfer und Carola Zsolna, richtet diesen Markt am 3. und 4. November in der Mensa der Medizinischen Akademie aus. Die 2000 Besucher haben einige begehrte Blätter schon nach 15 Minuten aufgekauft (Marginalien, 1985, H. 99). Aus der Organisation der Radebeuler Graphikmärkte, die von der Stadt weiter veranstaltet werden, hat sich die Pirckheimer-Gruppe nach Meinungsverschiedenheiten über die Graphikauswahl zurückgezogen. Der erste Druck der Berliner Graphikpresse erscheint: Hans Vent, Zehn Radierungen, mit einem Text von Gudrun Schmidt, von Manfred Wolf und Dieter Béla in 50 Exemplaren gedruckt im Auftrag der Pirckheimer-Gesellschaft. Bis zum Ende der DDR erscheinen vier weitere Drucke, zwei Mappen von mehreren Künstlern und Zyklen von Klaus Magnus und Nuria Quevedo, durchweg mit Originalgraphiken, für die die Pirckheimer-Gesellschaft verantwortlich zeichnet. Initiatoren sind Peter Röske und Ekkehard Hellwich. Hans-Joachim Walch, Künstlerischer Leiter des Insel-Verlages, übernimmt mit Heft 95 die Gestaltung der Zeitschrift Marginalien und führt sie nach dem Konzept des verstorbenen Horst-Erich Wolter fort. 1985 In Halle übernimmt am 1. April der Kunsthistoriker Hans-Georg Sehrt den Vorsitz der Bezirksgruppe (Marginalien, 1985, H. 99). Die Leipziger Pirckheimer-Gruppe publiziert in enger Zusammenarbeit mit dem Holzstecher Karl-Georg Hirsch das erste Heft der Reihe 24 x 34. Blätter zu Literatur und Graphik, mit dem die rege Herausgabe bibliophiler Drucke in Leipzig ihren Anfang nimmt: Walther Petri, Zwei Gedichte, mit einer Schablithographie von Rolf Münzner. Um das staatliche Genehmigungsverfahren zu umgehen, werden nur 50 Exemplare gedruckt – Künstlerdrucke bis zu dieser Auflagenhöhe sind von der Vorzensur freigestellt. Die ersten fünfzehn Hefte erscheinen bei der Ortsgruppe Leipzig der Pirckheimer-Gesellschaft, die zweiten fünfzehn bis zum Jahr 2000 beim Leipziger Bibliophilen-Abend, alle herausgegeben von Herbert Kästner. Die zum Jahrestreffen in Tabarz (Thüringen) vom 12. bis 14. April angereisten Teilnehmer müssen erfahren, daß der Gastgeber, der Schriftsteller Franz Hammer, kurz vor der Tagung gestorben ist. Er hat alles so gut vorbereitet, daß das Programm in seinem Sinne ablaufen kann. Eine Exkursion führt nach Gotha zum Schloß Friedenstein und der Schloßbibliothek. Die Vorträge halten der Verleger Elmar Faber, der über 40 Jahre Kulturbund und 40 Jahre Aufbau-Verlag spricht, und der Lektoratsleiter im Aufbau-Verlag Gotthard Erler, der über die Kulturlandschaft Thüringen referiert. Zu einer Veranstaltung findet sich überraschend, aus strömendem Regen auftauchend, ein Herr Imhoff ein, Thüringer Nachfahre der Frau von Willibald Pirckheimer, und wird mit großem Applaus empfangen. Am 8. Juli stirbt Franz Fühmann. Seit 1961 Mitglied der Gesellschaft, war er 1981 zu einer Lesung aus Anlaß des Jubiläums 25 Jahre Pirckheimer-Gesellschaft eingeladen worden. In seiner Absage scherzte er, er habe sich die Fünfzigjahrfeier vorgemerkt: „so long“ (Marginalien, 1984, H. 96). 1986 Am 29. Januar begeht die Pirckheimer-Gesellschaft in der Deutschen Staatsbibliothek zu Berlin ihr dreißigjähriges Gründungsjubiläum mit einer großen Ausstellung Freude an Buch und Graphik. Ende des vergangenen Jahres zählte sie 1080 Mitglieder. Die Dresdner Pirckheimer treffen sich am 31. Mai zu ihrem zweiten Bezirkstreffen. Seit dem letzten Treffen (1981) fanden im Bezirk 60 Veranstaltung statt, davon 40 in Dresden und Radebeul, nur eine geplante Zusammenkunft fiel aus (Marginalien, 1986, H. 104). Die Leipziger Gruppe zeigt in der Deutschen Bücherei eine stark beachtete Jubiläumsausstellung 30 Jahre Pirckheimer-Gesellschaft – 30 Jahre Bezirksgruppe Leipzig mit Exponaten aus den Sammlungen von Mitgliedern. Wie in anderen Fällen auch, gilt das Jahrestreffen vom 5. bis 7. September einer noch jungen Regionalgruppe. Frankfurt (Oder), seit langem vor allem Industriestadt, hat eine bedeutende kulturelle Geschichte, die im wesentlichen durch die hier bis 1811 angesiedelte brandenburgische Universität begründet war. Vorträge von Conrad Grau (Akademie der Wissenschaften Berlin) über die Geschichte der „Viadrina“ und von Hans-Erich Teitge über den Frankfurter Buchdruck im 16. Jahrhundert erinnern daran. Hans-Jürgen Rehfeld hat dazu eine eindrucksvolle Ausstellung mit Frankfurter Frühdrucken im Stadtarchiv vorbereitet. Neben anderen Besichtigungen finden das Kleist-Museum und die Stiftskirche in Neuzelle das Interesse der Teilnehmer. 1987 Das Jahrestreffen in Dresden vom 11. bis 13. Dezember wird von Jürgen Kuczynski mit einer Plauderei Jahre mit Büchern eröffnet. Der „linientreue Dissident“, wie er sich nach dem Ende der DDR nennt, erlaubt sich besonders seit Anbruch der Gorbatschow-Ära manchen politischen Seitenhieb gegen Verkrustungen und Langeweile im Land. Auch die Lesungen mit Wulf Kirsten und Jürgen Rennert führen hin zu kritischen Gesprächen über den gesellschaftlichen Zustand. Zwei Kataloge, in der Regie der Pirckheimer-Gesellschaft Berlin und der Bezirksgruppe Dresden entstanden, werden überreicht: Martin Erich Philipp (1887-1978). Das druckgraphische Werk und Dresdner Exlibris heute (Marginalien, 1988, H. 111). In Cottbus übernimmt am 20. Januar Gerd Lenke den Vorsitz der Bezirksorganisation (Marginalien, 1987, H. 106). Die Pirckheimer-Gruppe Gera veröffentlicht einen von Jens Henkel herausgegebenen Pressendruck Türen mit Lithographien und Serigraphien von Steffen Vollmer und Texten von Jörg Kowalski (Marginalien, 1988, H. 112). In Berlin gründet sich anläßlich des 750jährigen Stadtjubiläums ein Freundeskreis Miniaturbuch, dem bald auch Pirckheimer-Freunde angehören. 1988 Die Pirckheimer-Gesellschaft kündigt für 1990 ein Jahrbuch Sibi et amicis an, das in loser Folge alle drei bis fünf Jahre Studien zu Buchkunst, Bibliophilie und Buchwissenschaft veröffentlichen soll. Die Idee stammt von Horst Kunze, die Redaktion übernimmt der Leipziger Buchwissenschaftler Reimar Riese (Marginalien, 1988, H. 111). Das aufwendig vorbereitete Projekt wird in den Strudel der deutschen Einheit geraten und aufgegeben werden. Die Autoren des fast fertiggestellten ersten Bandes werden immerhin vom Verlag Rütten & Loening Abstandshonorare erhalten. Viele Manuskripte gehen in das 1991 vom Leipziger Arbeitskreis Geschichte des Buchhandels erstmals herausgegebene Leipziger Jahrbuch für Buchgeschichte ein. Auf den Veranstaltungen zu den „Schönsten Büchern des Jahres“ werden zunehmend Klagen über die schlechte Qualität der Bücher laut, so im März in Leipzig. Albert Kapr rügt die abnehmende Papierqualität und Druckschwankungen (Marginalien, 1988, H. 111). Nach dem Tod von Horst Bunke übernimmt Herbert Kästner die Leitung der Leipziger Pirckheimer. Horst Hussel gibt im Auftrag der Pirckheimer-Gesellschaft eine originalgraphische Mappe Alexander Olbricht, Sieben Radierungen aus Weimar, heraus. Der Druck erfolgt aus dem Nachlaß des Künstlers von den unverstählten Platten in einer Auflage von 150 Exemplaren (vgl. Veröffentlichungen und Gaben der Pirckheimer-Gesellschaft). Vom 11. bis 13. November treffen sich die Pirckheimer in Wolgast, um unter dem Generalthema Exlibris ihre Jahrestagung abzuhalten. An die Ostsee hat sie die Ratsvorsitzende des Kreises gelockt, die in der Presse las, daß die Pirckheimer-Gesellschaft im Harz keine Unterbringung gefunden habe. Horst Schmidt, der schon das Treffen in Frankfurt (Oder) organisierte und inzwischen Museumsleiter in Wolgast ist, sorgt für einen reibungslosen Ablauf. Vorträge und Ausstellungen machen mit dem Exlibriswerk von Bruno Héroux, David Bekker (Odessa) und dem Motiv „Das Urteil des Paris“ im Exlibris bekannt. Das Lindenantiquariat Berlin hat ein Angebot an antiquarischen Bücher herbeigeschafft, das zum Leidwesen der Interessenten heftiges Gerangel auslöst. Die Tauschbörse, Höhepunkt von Exlibristreffen, verläuft dagegen matt. Erfreut sind die Teilnehmer dagegen über die Führungen durch Bibliotheken und Baudenkmale in Wolgast und Greifswald (Marginalien, 1989, H. 115). Zum Jahresende zählt die Gesellschaft 1145 Mitglieder (Pirckheimer-Archiv, Nr. 98). 1989 Das Jahrestreffen findet vom 26. bis 28. Mai in Leipzig statt, wo zu dieser Zeit die iba ihre Tore geöffnet hat und Anlaß zu zahlreichen Besichtigungen und Gesprächen in den Sonderausstellungen bietet. Von der allgemeinen Lethargie im Land haben sich die organisierenden Leipziger Pirckheimer-Freunde nicht beeindrucken lassen: Die vielen Angebote kann der Chronist in den Marginalien kaum bewältigen. Die Gaben für die nahezu 400 Teilnehmer sind durch die Mithilfe der Leipziger Verlage und der Deutschen Bücherei besonders reichhaltig, darunter die Faksimile-Ausgabe der Handzeichungen und Gedichte von Erich Mühsam nach dem Original aus dem Besitz von Theo Pinkus und die Monographie Schrift- und Buchkünstler Albert Kapr von dem kurz zuvor gestorbenen Vorsitzenden der Leipziger Pirckheimer-Gruppe Horst Bunke. Mehrere Veranstaltungen belegen die enge Verbundenheit der Leipziger Bibliophilen zur Hochschule für Graphik und Buchkunst: So führt Albert Kapr in die Ausstellung Kalligraphische Expressionen mit Arbeiten von zwölf Schriftkünstlern der DDR ein und stellen Renate Hartleb und Anneliese Hübscher die Ausstellung Die Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig 1945-1989 vor. Große Beachtung findet die Schau Leipzig – Stadt des Buches und der Buchkunst in der Hörsaal-Galerie der Universität, in der Leipziger Pirckheimer Schätze aus ihren Sammlungen zeigen  (Marginalien, 1990, H. 117). Auf der iba erhält ein Pressendruck der Pirckheimer-Gruppe Gera eine Goldmedaille: Schwarz angesagt & andere bestechende Gefühle, mit Texten von Matthias Biskupek und Holzstichen von Karl-Georg Hirsch, gestaltet von Gert Wunderlich (Marginalien, 1990, H. 117). Der Herausgeber Jens Henkel veröffentlicht die geplanten weiteren Drucke ab 1990 in dem von ihm gegründeten Verlag burgart-presse. Im Mai 1989 besuchen Wolfram Körner und Hartmut Pätzke den Berliner Bibliophilen Abend im Westteil von Berlin. Im Hause des Vorsitzenden Dieter Lemhoefer spricht Pätzke über Eduard Fuchs. Während in Berlin Demonstranten gegen die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR auf die Straße ziehen, veranstalten die Exlibris-Sammler vom 6. bis 8. Oktober den ersten Exlibris-Tag auf Schloß Burgk. Unter den 100 Teilnehmern befinden sich auch zahlreiche ausländische Gäste aus Österreich, den Niederlanden und der Sowjetunion. Unter dem Motto „Ein gutes Exlibris rettet jeden Namen für den Himmel“ stellen Sammler ihre Blätter vor, tauschen und diskutieren mit Albrecht Scholz, Egbert Herfurth und Detlef Olschewski über das Exlibris-Sammeln. Lothar Lang und die Mitarbeiter führen durch die wachsende Exlibris-Sammlung des Museums, die erst wenige Jahre zuvor durch die umfangreiche Schenkung des Sammlers Paul Heinicke begründet wurde (Marginalien, 1990, H. 117). Geplante Folgeveranstaltungen unterbleiben nach dem Ende der DDR. Nach Beratungen im Vorstand am 15. November setzt Wolfram Körner einen Forderungskatalog auf, den er im Namen der Pirckheimer-Gesellschaft an Kulturbund, Volkskammer und verschiedene andere Institutionen und Parteien schickt. Im apodiktischen Ton der Zeit wird gefordert, den einseitigen Transfer von Sammlungsgut nach dem Westen zu stoppen, die Bibliotheken besser auszustatten, die Enteignungen von Kunstsammlern einzustellen und die Bevormundung der Pirckheimer-Gesellschaft durch den Kulturbund zu beenden. Im Rundschreiben des Vorstandes vom 15. Dezember wird die Frage aufgeworfen, ob die Pirckheimer-Gesellschaft unter dem Dach des Kulturbundes bleiben soll. 1990 Hartmut Pätzke trägt in den Marginalien (1990, H. 118) den Unmut vieler Sammler über die Machenschaften des Staatlichen Kunsthandels der DDR vor und prangert die Quasienteignungen von Kunstsammlern durch die Kunst & Antiquitäten GmbH in Mühlenbeck unter Oberhoheit von Alexander Schalck-Golodkowski an. Am 15. Februar finden sich zahlreiche Pirckheimer-Freunde zu einer Außerordentlichen Mitgliederversammlung in Berlin zusammen, um über die Zukunft der Gesellschaft zu beraten. Neben vielen Klagen über die gesellschaftlichen Kalamitäten kommt es auch zu scharfen Angriffen gegen den Kulturbund und den Vorstand der Gesellschaft. Die Versammlung beschließt die Trennung vom Kulturbund; die Pirckheimer-Gesellschaft bleibt aber korporatives Mitglied des reformierten Kulturbundes. Die Zusammensetzung des Vorstands wird schließlich nicht geändert. Am 30. und 31. März tagt die Maximilian-Gesellschaft in Berlin. Eine gemeinsame Veranstaltung mit der Pirckheimer-Gesellschaft, schon vor der Wende geplant, findet in der Deutschen Staatsbibliothek Unter den Linden statt: Günter Grass liest aus seinem Werk Zunge zeigen und stellt sich anschließend der Diskussion inmitten einer Verkaufsausstellung seiner Originalgraphik, zu der Hans Marquardt eine Einleitung gibt. Horst Kunze moderiert ein Gespräch mit Klaus Ensikat (Sächsisches Tageblatt, 16. April 1990) Die Maximilianer empfangen die Pirckheimer auch zu ihrem Festessen. Am 18. Juni stellt Dieter Lemhoefer, Vorsitzender des Berliner Bibliophilen Abends, seine Vereinigung im Rahmen eines Berliner Pirckheimer-Abends vor. Er wie eine Reihe anderer BBA-Mitglieder treten der Pirckheimer-Gesellschaft bei, wie umgekehrt Pirckheimer-Freunde bald zu den aktiven Mitgliedern des BBA gehören (Marginalien, 1991, H. 122). Die Leipziger Pirckheimer-Gruppe veröffentlicht den ersten von Gert Wunderlich gestalteten Leipziger Druck: Rote Wut und schwarze Galle. Karl-Georg Hirsch hat darin alte und neue Texte zur Lage der Nation mit originalen Holzstichen illustriert. Die Pressendruck-Reihe, die Herbert Kästner herausgibt, wird vom wieder gegründeten Leipziger Bibliophilen-Abend fortgesetzt. Am 26. Juni konstituiert sich die Pirckheimer-Gesellschaft als Verein nach Bürgerlichem Gesetzbuch. Ende Juli zieht das Büro von der Hessischen Straße in das Haus des Kulturbundes, Otto-Nuschke-Straße (bald wieder Jägerstraße), um. Die Sekretärin wird vom Kulturbund gekündigt und wechselt kurzfristig in eine neue Stelle. Am 29. September tagt in Berlin eine Außerordentliche Mitgliederversammlung, die eine überarbeitete Satzung beschließt und einen neuen Vorstand wählt, dem Wolfram Körner (Vorsitz), Herbert Kästner (Stellvertretender Vorsitzender), Horst Knebusch (Schatzmeister) und Hartmut Pätzke (Schriftführer) angehören. Der Vorstand hat das für Magdeburg und Wolfenbüttel geplante Jahrestreffen in diesem Jahr abgesagt, weil zu wenige Anmeldungen eingegangen sind. Die Gesellschaft zählt nach dem Beitritt von etwa 40 Mitgliedern aus dem Westen Deutschlands, einschließlich Berlin, 1250 Mitglieder. Der Mitgliedsbeitrag wird für 1991 auf 120 DM, für Studenten, Rentner und Arbeitslose auf 80 DM festgesetzt (Marginalien, 1991, H. 121). Zum Jahreswechsel kommt es zu massenhaften Austritten. Viele Mitglieder sehen nach der Entlassung oder Versetzung in den Vorruhestand sorgenvoll in die Zukunft. Andere orientieren sich beruflich und privat neu, wollen reisen oder anderen lange entbehrten Vergnügungen nachgehen, so daß in ihrem Leben für die Bibliophilie kein Platz mehr bleibt. Am 1. Juli eröffnen Ekkehard Hellwich und Peter Röske die Galerie der Berliner Graphik-Presse, die nach sechs Drucken unter dem Dach der Pirckheimer-Gesellschaft die Berliner Graphikpresse selbständig weiterführt (Marginalien, 1991, H. 120). 1991 Am 8. Januar gründet sich der Leipziger Bibliophilen-Abend neu, von 1904 bis 1933 eine der bedeutendsten Bibliophilenvereinigungen Deutschlands. Er tritt auch das Erbe der Pirckheimer-Bezirksgruppe an, das in der Schrift 35 Jahre Bibliophilie in Leipzig (1991) bilanziert wird. Die Vorstandsmitglieder der Pirckheimer-Gruppe werden zum Vorstand des neuen Vereins gewählt. Beim Vorstand der Gesellschaft in Berlin ist man mehrheitlich gegen die Ausgründung, weil durch sie die Gesellschaft geschwächt zu werden scheint. Doch der LBA bleibt der Pirckheimer-Gesellschaft eng verbunden, wie auch die meisten seiner Mitglieder weiterhin dem alten Verein treu bleiben. Der LBA zeichnet sich künftig durch eine unübertroffene Zahl qualitativ hochwertiger Drucke aus. Am 27. Januar tagen auf Initiative von Ute Wermer und Alexander Kerrutt in der Galerie Bellevue (Berlin-Tiergarten) erstmals nach 50 Jahren 25 Berliner Exlibris-Freunde aus West und Ost gemeinsam – Mitglieder der Deutschen Exlibris-Gesellschaft, der Pirckheimer-Gesellschaft und des Berliner Bibliophilen Abends (Marginalien, 1991, H. 121). Daraus wird eine Tradition jährlich ausgerichteter Exlibris-Treffen, meist zum Jahresende veranstaltet von Rainer Kabelitz. Neben kleinen Ausstellungen steht der Tausch von Blättern im Mittelpunkt. Im Haus Kulturbundes in der Jägerstraße findet im Herbst der 17. und letzte Berliner Graphikmarkt statt, veranstaltet von der Galerie der Graphikpresse nur noch in Zusammenarbeit mit der Pirckheimer-Gesellschaft. Der Massenansturm ist Geschichte. Im Osten Berlins gibt es mittlerweile viele neue Galerien, die wie die zahlreichen Geschäfte im Westteil der Stadt um Kunden werben. Die Galerie zählt die von ihr in den eigenen Räumen veranstalteten Graphikmärkte in den folgenden Jahren weiter und hält an dem Schwerpunkt Kunst aus den neuen Bundesländern fest (Marginalien, 1996, H. 141). Am 14. Juni gründet sich die Gesellschaft der Stralsunder Buch- und Graphikfreunde e.V., die unter dem Vorsitz von Gisela Klostermann das Erbe der Pirckheimer-Gruppe Stralsund antritt. Bald gehören ihr rund 50 Mitglieder an, die fast alle nicht mehr Mitglied der Pirckheimer-Gesellschaft sind. Stralsund ist immerhin die einzige bibliophile Gruppe aus dem früheren Bezirk Rostock, die die Zeitenwende überlebt (Marginalien, 1998, H. 149). 1992 Am 21. März kommen im jetzt Club von Berlin genannten Kulturbundhaus, Jägerstraße 2-3, die Mitglieder zusammen, um die vom Amtsgericht beanstandete Satzung in überarbeiteter Form zu verabschieden. (Am 14. September kann dann endlich die Prozedur der Überführung in die nach Bürgerlichem Recht notwendige Organisationsform durch den Eintrag ins Vereinsregister abgeschlossen werden.) Die Mitgliederversammlung wählt einen neuen Vorstand, dem Wolfram Körner (Vorsitzender), der Historiker WK (Stellvertretender Vorsitzender), der Bauunternehmer Adolf Jahneke (Schatzmeister), Hartmut Pätzke (Schriftführer), der Angestellte Rainer Kabelitz und Herbert Kästner angehören (Marginalien, 1992, H. 127). Erstmals seit 1989 findet vom 17. bis 18. Oktober in Berlin und Potsdam wieder ein Jahrestreffen statt, zu dem sich rund 140 Mitglieder und Angehörige einfinden. Als Gabe wird die Mappe mit vier Graphiken gereicht, die zum abgesagten Jahrestreffen 1990 schon fertig vorlag. Den Festvortrag hält Richard Landwehrmeyer, erster Generaldirektor der vereinigten Staatsbibliothek zu Berlin, über die schwierige Zusammenführung der beiden Häuser in Ost und West. Höhepunkt ist die Besichtigung der Bibliothek Friedrichs II. im Schloß Sanssouci, zu der Hans-Joachim Giersberg, Generaldirektor der Staatlichen Schlösser und Gärten, die Teilnehmer empfängt. Mehrere Mitglieder haben kleine Ausstellungen vorbereitet. Ein Novum stellt ein bibliophiler Basar dar, auf dem Antiquare, Pressen, Verlage und auch Sammler Bücher und Graphik zum Kauf anbieten (Marginalien, 1993, H. 129). Nach dem Tod von Hans-Joachim Walch (1991) hat Heinz Hellmis, der frühere Künstlerische Leiter des Aufbau-Verlages, die Gestaltung der Marginalien übernommen und überrascht die Leser ab Heft 125 (1992) durch eine großzügige neue Gestaltung. Eine Serie von kleinen Porträts in den Marginalien (ab Heft 125) stellt neue Verlage aus den fünf neuen Bundesländern vor. Auch durch mehrere Beiträge von Paul Ritter über Frans Masereel mit zwei originalgraphischen Beilagen (1992, H. 127 und 128) wird der Marginalien-Jahrgang besonders attraktiv und trägt viel zur Besinnung der Pirckheimer-Gesellschaft auf ihre Kräfte bei. 1993 Das Jahrestreffen vom 15. bis 16. Mai führt die Teilnehmer nach Nürnberg und auf die Spuren des Namenspatrons Willibald Pirckheimer. Konrad Kratzsch referiert über Hartmann Schedel und seine Weltchronik, Eduard Isphording breitet im Germanischen Nationalmuseum Pressendrucke aus und Rudolf Rieß, der für die Teilnehmer ein Holzschnitt-Exlibris angefertigt hat, führt durch seine Werkstatt. In diesem Jahr hat die Gesellschaft mit 440 Mitgliedern ihren geringsten Mitgliederstand seit der Gründungszeit erreicht (Marginalien, 1998, H. 3). Doch die Rubrik „Neue Mitglieder“ in den Marginalien zeigt, daß kontinuierlich neue Mitglieder besonders aus den alten Ländern gewonnen werden und auch viele ehemalige Mitglieder zur Gesellschaft zurückfinden. Wolfgang Rasch, Geschäftsführer der Stiftung Buchkunst in Frankfurt am Main, präsentiert am 11. März in Berlin und am 6. April in Leipzig erstmals wieder nach der deutschen Einheit die „Schönsten Bücher“ des vergangenen Jahres (Marginalien, 1993, H. 131). Er wird zu einem gern gesehenen Gast in den verbliebenen Pirckheimer-Gruppen und lockt von Jahr zu Jahr mehr Besucher an. Neben dem Sonderfall Leipzig gibt es noch in Berlin (Berlin/Brandenburg; Leitung: Hartmut Pätzke), Halle / Saale (Hans-Georg Sehrt), Magdeburg (Jochen Bartels), Neubrandenburg (Gunter Ball) und Wittenberg (Elke Stiegler, bis 1995) Pirckheimer-Regionalgruppen, die mehrere Veranstaltungen im Jahr abhalten. Auch in Neustrelitz gibt es Pirckheimer, die sich unabhängig von Neubrandenburg in loser Folge zu Veranstaltungen zusammenfinden. In Dresden läuft der Graphikmarkt unter Beteiligung der Pirckheimer-Gesellschaft weiter. 1994 Am 23. und 24. April empfangen die Wittenberger Bibliophilen etwas mehr als 110 Mitglieder und Angehörige zum Jahrestreffen, das durch Vorträge über Signets der Wittenberger Verleger vom 16. bis 18. Jahrhundert (Heinrich Kühne) und Luther und das Bild (Horst Kunze) sowie den Besuch einer Cranach-Ausstellung, der Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars und anderer städtischer Attraktionen gekennzeichnet ist. Im Gedächtnis der Teilnehmer bleibt aber auch eine überaus kontroverse Diskussion in der Mitgliederversammlung. Da Wolfram Körner aus Altersgründen für den Vorsitz nicht mehr zu Verfügung steht – er kann aus gesundheitlichen Gründen erstmals nicht an einem Jahrestreffen teilnehmen -, wird ein neuer allseits akzeptierter Vorsitzender dringend gebraucht. Schon im Vorfeld gab es deswegen Querelen, so daß mehrere Vorstandsmitglieder nicht mehr kandidieren. Die Wahl fällt auf Michael Faber, Mitinhaber des Verlages Faber & Faber. Ihm zur Seite stehen Wolfram Körner (Stellvertretender Vorsitzender), der Geologe Thomas Kaemmel (Schatzmeister), die Antiquarin Elke Stiegler (Schriftführerin) und der Germanist Fritz Jüttner. Im September gründet die Regionalgruppe Magdeburg einen selbständigen „Verein der Bibliophilen und Graphikfreunde Magdeburg und Sachsen-Anhalt e. V. ‚Willibald Pirckheimer‘“. Die meisten Mitglieder verlassen den alten Verein. 1995 Auf dem Jahrestreffen in Mainz am 27. und 28. Mai spricht Hans Mayer, Nestor der Germanistik, über Wandlungen des Humanismus, frei ohne Manuskript. Das mitlaufende Tonband faßt nicht die Länge der improvisierten Anmerkungen, die von Sparta über Erasmus von Rotterdam und Karl Marx bis zu Ernst Jünger, von Plato bis Mao und Khomeini reichen. Stephan Füssel referiert unter dem Titel Gutenberg goes electronic über die Probleme und Chancen im gerade anbrechenden Zeitalter des Internet. Hans Ticha hat im Gutenberg-Museum eine Ausstellung vorbereitet und erinnert sich aus diesem Anlaß an das Büchermachen in der DDR. Eine graphische Speisekarte von ihm zählt zu den reichhaltigen Gaben des Treffens, zu denen auch vier Drucke der Gutenberg-Gesellschaft, von ihr gereicht, gehören. Um 30 Exemplare eines originalgraphischen Weinetiketts von Ticha entbrennt bei der abendlichen Versteigerung ein heftiges Bietgefecht, wobei die dazugehörige Flasche mit bestem heimischem Riesling „Hochheimer Kirchenstück“ dankbar mitgenommen wird (Marginalien, 1995, H. 138). Die Mainzer Minipressen-Messe gibt reichlich Gelegenheit zu Entdeckungen und neuen Bekanntschaften. Die Marginalien müssen in ein neues Haus wechseln. Der Aufbau-Verlag hatte kurzfristig zum Jahresende 1994 der Zeitschrift die Zusammenarbeit aufgekündigt. Der neue Verlag, Harrassowitz Wiesbaden, beweist schon im ersten Jahr, daß sie wirtschaftlich weiterzuführen ist. Aufgegeben werden muß der Bleisatz, in dem, von manchem Leser unbemerkt, bislang jedes Heft von der Offizin Haag Drugulin vollständig gedruckt war. Immerhin bleibt die „typographische Beilage“ erhalten, mit der weiterhin Beispiele aus dem schier unerschöpflichen Schriftenvorrat der Offizin vorgestellt werden. Die Herstellung liegt künftig in der Hand von Jütte Druck Leipzig. Nach Marginalien-losen Monaten erscheinen im letzten Drittel des Jahres in rascher Folge die fehlenden Hefte. 1996 Am 11. Mai treffen sich auf Initiative des Zürcher Pirckheimer-Freundes und Antiquars Peter Petrej interessierte Mitglieder und der Vorstand zu einem „Bernauer Maigespräch“, um in der märkischen Kreisstadt über die Zukunft der Gesellschaft zu meditieren. Der Chronist (Fritz Jüttner) hebt hervor, daß die alten Ziele auch die neuen sind: das Engagement für das schöne alte und neue Buch, die Liebe zur Graphik, die Förderung des Sammelns bei Offenheit für weltanschaulich verschiedene Positionen. Auch über Nachwuchssorgen und finanzielle Nöte wird gesprochen (Marginalien, 1996, H. 143). Vom 6. bis 9. September finden sich in Berlin 127 Mitglieder und Angehörige zum Jahrestreffen ein, um ein besonders reichhaltiges Programm zu absolvieren. Eine Lesung von Günter de Bruyn aus seinen Memoiren, der Festvortrag von Dieter Beuermann über Leben und Wirken des Gründervaters seiner Firma, der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung, Friedrich Nicolai, Werkstattgespräche mit dem Buchbindermeister Werner G. Kießig und dem Pressen-Verleger Christian Ewald (Katzengraben-Presse) bleiben ebenso in Erinnerung wie Besuche von zahlreichen Museen und Ausstellungen. Michael Faber gibt schon nach einer Amtszeit den Vorsitz wieder ab, weil er als Mitinhaber seines Leipziger Verlages beansprucht wird und es zu Spannungen mit dem Berliner Pirckheimer-Büro gekommen war. Den neuen Vorstand mit Bertram Winde (Physiker, Stellvertretender Vorsitzender), Konrad Hawlitzki (Bibliothekar, Schriftführer) und Thomas Kaemmel (Geologe, Schatzmeister) führt der Kunsthistoriker Hartmut Pätzke, zugleich Vorsitzender der Berlin-Brandenburger Gruppe (Marginalien, 1996, H. 144). Während der Turbulenzen nach dem Ende der DDR hat er sich Verdienste um den Erhalt der Gesellschaft erworben. Nach langer Zeit erhalten die Pirckheimer wieder eine selbstverlegte Jahresgabe: Dieter Hoffmann, Glockenspeise. Gedichte. Mit Zeichnungen von Gerhard Kettner. Der Dresdner Künstler zeichnete seine Illustrationen in das Manuskript, das ihm der Freund aus Frankfurt am Main gesandt hatte. Da Kettner inzwischen gestorben ist, erscheint das Buch nur mit den Kugelschreiber-Skizzen – „Einübungen und Annäherungen, nichts Endgültiges“, wie der Herausgeber Lothar Lang schreibt. 1997 Das Jahrestreffen findet vom 19. bis 21. September in Helmstedt und Wolfenbüttel statt, wo 112 Teilnehmer niedersächsische Bücherschätze kennenlernen. In Helmstedt führt der Lokalpatriot Rolf Volkmann durch Geschichte und Gegenwart der früheren Universitätsstadt mit vielen Denkmälern einstiger Größe, darunter einer ansehnlichen Universitätsbibliothek mit wertvollen Drucken von der Reformation bis zur Aufklärung. Für Wolfenbüttel mit Lessings Wohnhaus und den einmaligen Sammlungen der Herzog August Bibliothek, den spätmittelalterlichen Handschriften, den Malerbüchern und vielem anderen, bleibt nur allzu wenig Zeit (Marginalien, 1997, H. 148). 1998 Mit Heft 150 verabschiedet sich Lothar Lang nach jahrzehntelanger Wirkungszeit aus der Redaktion der Marginalien. Er übergibt am 7. Juli sein Amt dem Germanisten Carsten Wurm, der überwiegend skeptisch aufgenommen wird. Ihm zur Seite steht weiterhin das erfahrene Redaktionskollegium mit Herbert Kästner, Wolfram Körner, Friedhilde Krause, Horst Kunze und Hartmut Pätzke. In Halle übernimmt Wolfgang Kirsch, der schon einmal den Vorsitz innehatte, die Leitung der Pirckheimer-Gruppe und organisiert in den kommenden fünf Jahren eine große Zahl von Vortragsabenden, Ausstellungsbesuchen und Exkursionen. Das Jahrestreffen vom 19. bis 21. September gilt der bibliophilen Erkundung von Lübeck und Hamburg. In Lübeck wandeln die Teilnehmer natürlich auf den Spuren der Familie Mann, aber auch von Erich Mühsam, der dasselbe Gymnasium mit gleichermaßen mangelndem Eifer wie Heinrich und Thomas Mann besuchte. Der Heinrich-Mann-Experte Klaus Schröter hält im Buddenbrookhaus einen Vortrag über den Untertan, und Peter Rühmkorf liest aus Gedichten und Tagebüchern. Die Elke Rehder Presse stellt ihre Bücher vor, und Henning Wendland führt seine Sammlung mit Holzschnitten aus Büchern des 15. und 16. Jahrhunderts vor. In Hamburg stehen die Kunstwissenschaftliche Bibliothek Warburg und die Staats- und Universitätsbibliothek auf dem Programm. Ein Atelierbesuch führt zu Roswitha Quadflieg und ihrer Raamin-Presse. In den neuen Vorstand werden gewählt: der Lehrer Gunther Ball (Schriftführer), die Lehrerin Ursula Lang (Schatzmeisterin), Hartmut Pätzke (Vorsitzender), die Graphikerin Elke Rehder und der Physiker Bertram Winde (Stellvertretender Vorsitzender). Die Zahl die Mitglieder erreicht rund 550 (Marginalien, 1998, H. 151). 1999 Im August und September zeigt die Staatsbibliothek zu Berlin anläßlich des fünfte Todestages von Werner Klemke eine große Werkausstellung, die Axel Bertram und Hartmut Pätzke vorbereitet haben und Bertram auch gestaltet hat. Das Begleitbuch Werner Klemke. Wie man Bücher durch Kunst (un-?)brauch­bar machen kann übernimmt die Pirckheimer-Gesellschaft von der Staatsbibliothek und reicht es, um einen Bogen mit Einzeichnungen von Klemke in Büchern von Pirckheimern erweitert, an die Mitglieder als Gabe. Der Gestalter Axel Bertram setzt den Text in seiner hier erstmals verwendeten neuen Schrift „Lucinde“. Das Jahrestreffen vom 18. bis 20. Juli führt nach Thüringen. In Saalfeld und Rudolstadt versammeln sich gut hundert Teilnehmer, um Saalfeld anläßlich des 1100jährigen Stadtjubiläums und die nahegelegene ehemalige fürstliche Residenz Rudolstadt mit dem alles überragenden Schloß Heidecksburg kennenzulernen. Neben Museums-, Bibliotheksbesuchen und Stadtrundgängen beeindrucken Ausstellungen mit Stadtansichten aus dem Besitz von Peter Rudolf Meinfelder und mit Graphiken zu mythologischen Themen von Peter Arlt. Festvorträge von Peter Arlt und Carsten Wurm gelten der Mythosadaption in der Moderne beziehungsweise der Geschichte des bis 1993 in Rudolstadt ansässigen Greifenverlages (Marginalien, 1999, H. 155). 2000 Am 22. Juli tagt in Berlin eine Mitgliederversammlung, in der über Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vorstand und der Redaktion Marginalien einerseits und dem Vorsitzenden andererseits diskutiert werden muß. In der intensiven Aussprache wird der autokratische Leitungsstil von Hartmut Pätzke kritisiert. Dem neu gewählten Vorstand gehören an: als Vorsitzender WK (Historiker), als Stellvertretender Vorsitzender Eckehart SchumacherGebler (Druck-Unternehmer), als Schatzmeister Klaus-Dieter Paul (Angestellter), Schriftführerin Carla Villwock (Landesgeschäftsführerin des Kulturbundes Brandenburg) und Peter Rudolf Meinfelder (Archivar / Lehrer). Da die Förderung einer Arbeitskraft durch den Senat ausgelaufen ist, muß der neue Vorstand seine Arbeit erstmals in der Vereinsgeschichte ohne Sekretariat erledigen (Marginalien, 2000, H. 159). Am 9. Dezember wird seit vielen Jahren auch in Berlin wieder ein neuer Vorstand gewählt, dem die Bibliothekarin Renate Gollmitz, der Historiker Jürgen Gottschalk und die Lehrerin Ursula Lang angehören. Der alte Vorsitzende, Hartmut Pätzke, verläßt zum Jahresende die Gesellschaft. Das Jahrestreffen gilt vom 15. bis 17. September dem 500. Geburtstag von Johannes Gutenberg und seiner Geburtsstadt Eltville am Rhein, wo in der Gutenberg-Gedenkstätte die Alte Florentiner Druckpresse für die rund 100 Teilnehmer in Gang gesetzt wird. Der Initiator des Treffens, der Eltviller Journalist Ferdinand Puhe, hat eine Weinverkostung organisiert, die er zu einer Begegnung mit der Weinkultur des Landes und dem mannigfaltigen Niederschlag des Weins in der Literatur ausweitet. Der Festvortrag von Eva-Maria Hanebutt-Benz, Direktorin des Gutenberg-Museums Mainz, führt zurück zu Gutenbergs Erfindung vor dem Hintergrund der frühen ostasiatischen Drucktechniken. Ein Ausflug nach Mainz bringt die Begegnung mit der Jubiläumsausstellung im Gutenberg-Museum. Die Pirckheimer-Gesellschaft zählt in diesem Jahr 571 Mitglieder, die bislang höchste Zahl seit dem Aderlaß nach der deutschen Vereinigung (Marginalien, 2000, H. 160). 2001 Der Leipziger Bibliophilen-Abend begeht mit einer Festveranstaltung (Festvortrag Dieter Beuermann) und einer opulenten, originalgraphisch ausgestatteten Festschrift das zehnjährige Jubiläum seiner Wiedergründung. In einer umfangreichen Ausstellung im „Haus des Buches“ können über 50 bibliophile Editionen gezeigt werden. Das Jahrestreffen vom 5. bis 7. Oktober, das die kleinste Regionalgruppe und besonders Erhard Kunkel vorbereitet haben, führt abseits von den großen kulturellen Zentren nach Neustrelitz, einst Residenz eines der beiden mecklenburgischen Fürstentümer. Ein literarisches und musikalisches Programm über Mecklenburg-Strelitz in der Literatur, Ausstellungsbesuche und vor allem eine Fahrt im Bus durch die herbstliche Feldberger Seenlandschaft zu Hans Fallada nach Carwitz und Brigitte Reimann nach Neubrandenburg boten den Teilnehmern einen reichhaltigen Überblick über Geschichte und Gegenwart des Landes. Sie können Drucke der Neustrelitzer Graphiker Cornelia Kestner (Graphik), Joachim Lautenschläger (ein Buch mit Texten von Erhard Kunkel) und des Neubrandenburgers Otto Sander Tischbein (Graphik) als Gaben mit nach Hause nehmen (Marginalien, 2002, H. 165). Abschließend führt eine Dampferfahrt über die Seen rund um die Stadt. 2002 Die Pirckheimer finden sich vom 6. bis 8. September zum Jahrestreffen im äußersten südöstlichen Zipfel Deutschlands zusammen, wo sie sich in Herrnhut mit den kulturellen, bibliophilen und religiösen Traditionen der Brüder-Unität und der Oberlausitz allgemein bekannt machen. Eine Exkursion führt von dort in das nahegelegene Liberec (Reichenberg), um den Neubau der Staatlichen Bibliothek mit einem eigenen Bereich für die jüdische Gemeinde sowie tschechische Kunst des 20. Jahrhunderts in der Regionalgalerie kennenzulernen. Ein neuer Vorstand wird gewählt, dem WK wieder als Vorsitzender, Bernd Illigner (Angestellter) als Schatzmeister, Patrick Graetz (Angestellter), Konrad Hawlitzki als Schriftführer und Hans-Udo Wittkowski (Justizmitarbeiter) als Stellvertretender Vorsitzender angehören (Marginalien, 2002, H. 168). 2003 Die Mitglieder erhalten in diesem Jahr als Gabe eine Reminiszenz an die DDR-Kunst: Von Altenbourg bis Zickelbein. Die Kabinettpresse Berlin 1965-1974 von Hans-Georg Sehrt. Darin wird die von Lothar Lang im Selbstverlag herausgegebene Reihe von Graphikmappen bibliographiert und einführend historisch verortet. Das vom Verlag Faber & Faber übernommene Buch mit vielen Abbildungen und einer Erinnerung von Lothar Lang ist mit zwei Originalgraphiken von Dieter Goltzsche und Ronald Paris „getrüffelt“. Am 29. April setzen sich auf Initiative von Ferdinand Puhe, Journalist in Eltville am Rhein, und Marita Hoffmann, Angestellte in Ludwigshafen, sechs Pirckheimer in Hirschberg-Großsachsen am Fuße des Odenwalds zusammen, um die Einrichtung einer Regionalgruppe Rhein-Main-Neckar zu beschließen. In zwangloser Folge treffen sie sich seither an wechselnden Orten, um Vorträge zu hören, Sammlungen zu besichtigen und sich über bibliophile Themen auszutauschen (Marginalien, 2005, H. 178). Die Einladung zum Jahrestreffen vom 26. bis 28. September erging in diesem Jahr aus einer jungen Metropole, dem 150jährigen Ludwigshafen, wo Marita Hoffmann eine Tour durch Geschichte und Kultur der Chemiemetropole organisiert hat. Zu den Höhepunkten zählen der Besuch im Ernst-Bloch-Zentrum mit dem Archiv des aus Ludwigshafen stammenden Philosophen und die Rundfahrt durch die Werke und Anlagen der die Stadt beherrschenden BASF, ebenso eine Besichtigung des imposanten Landesmuseums für Technik und Arbeit im nahegelegenen Mannheim mit vielen Objekten aus der Geschichte des Buchdrucks. Eine außergewöhnliche aufwendige und kunstvolle Gabe überreicht jedem Teilnehmer persönlich der aus Ludwigshafen stammende Buchkünstler Robert Schwarz, ein collagiertes Buchobjekt in Leporelloform mit Reminiszenzen an Ernst Bloch (Marginalien, 2003, H. 172). Im Februar zieht der Vorstand mit dem Büro von der Friedrichstraße in die Bornholmerstraße – der dritten Umzug seit der deutschen Einheit. Wenige Monate zuvor mußte ein Lager in der Garage von Stascha Kaiser, der verstorbenen Frau von Bruno Kaiser, aufgelöst werden. 2004 Zu den Mitgliedern der Gesellschaft zählen seit den Anfängen auch einige Bibliotheken und Museen, darunter das Lindenau-Museum Altenburg. Es zeigt den Teilnehmern des Jahrestreffens vom 10. bis 12. September eine Sonderausstellung zum 150. Todestag seines Gründers Bernhard August von Lindenau und bietet gute Führungen durch die Abteilungen mit Malerei und Keramik sowie vor allem durch die Graphische Sammlung. Neben anderen Besichtigungen erfreut die Pirckheimer eine Fahrt durch das alte Pleißnerland und Osterland nach dem Dörfchen Tautenhain, wo Conrad Felixmüller einst lebte. Gestärkt an einer Tafel mit Kaffee und Kuchen im Pfarrgarten, erhalten sie durch Pfarrer Helbig eine sehr persönliche Deutung der sechs in der Kirche hängenden Tafelbilder mit freien Interpretationen von biblischen Motiven aus Felixmüllers Hand. Den Festvortrag mit Betrachtungen zum Begriff und Wesen der Graphik hält der Altenburger Kunsthistoriker Dieter Gleisberg. Die besonders reich bestückte Auktion mit außergewöhnlich gutem Gesamtergebnis wird zur Hälfte zugunsten der ausgebrannten Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek gespendet. Die Wahl zum Vorstand, vor der es wie immer in den letzten Jahren vieler Vorabsprachen mit potentiellen Kandidaten bedurft hat, bestimmt wieder WK als Vorsitzenden, Peter Arlt (Kunsthistoriker) als Stellvertretenden Vorsitzenden, Gabriele Ballon (Antiquarin) als Schatzmeisterin, Konrad Hawlitzki als Schriftführer und Ferdinand Puhe (Journalist) als Mitglied. Für 2005 verabreden sich Teilnehmer nach Nordhausen (Marginalien, 2004, H. 176). Am 2. Februar begeht der Leipziger Bibliophilen-Abend sein hundertjähriges Gründungsjubiläum mit einer Festveranstaltung und einer Jubiläumsschrift. Zahlreiche Mitglieder der Pirckheimer-Gesellschaft, auch von außerhalb Leipzigs, sind beim Leipziger Verein Mitglied und deshalb beim Fest zugegen. Ebenso gut ist das Verhältnis zum Berliner Bibliophilen Abend, der am 15. Januar des kommenden Jahres seine Hundertjahrfeier begeht. Aus beiden Anlässen erscheinen in den Marginalien historische Rückblicke (2004, H. 174, und 2005, H. 177). Nachbemerkung Mit diesem Rückblick sollen nur einige Höhepunkte des Pirckheimer-Lebens in Erinnerung gerufen werden. Quellen waren neben dem Pirckheimer-Archiv und wenigen Presseveröffentlichungen vor allem die Zeitschrift Marginalien, in der regelmäßig Nachrichten und Berichte über das Vereinsleben erschienen. Was dort keinen Eingang gefunden hat, konnte nicht berücksichtigt werden. Einige Lücken wurden mit Hilfe von Zeitzeugen geschlossen. Ergänzend wurden zu Rate gezogen: Veröffentlichungen und Gaben der Pirckheimer-Gesellschaft und mit ihrer Unterstützung entstandene Publikationen 1956-1991. Einleitung Horst Kunze. Bibliographie Hartmut Pätzke. Berlin 1993; Fünfunddreißig Jahre Bibliophilie in Leipzig. Die Leipziger Gruppe der Pirckheimer-Gesellschaft 1956 bis 1991. Herausgegeben von Herbert Kästner. Texte von Albert Kapr und Herbert Kästner. Leipzig 1991. © Carsten Wurm - Jede Veröffentlichung, auch auszugsweise, bedarf der Zustimmung des Autors