Mittwoch, 27. Mai 2015

Werkübersicht von Ulla Walter auf der Burg Beeskow

Vier Wege vor dem Jetzt ist per se ein poetischer Ausstellungstitel. Angesichts unübersehbarer Schnittstellen würde ich stattdessen eher von einem – Umwege und Seitensprünge eingeschlossen – Hauptweg mit verzweigten Stationen sprechen, an denen es wiederholt zu Berührungen mit dem Vorausgegangenen und dem Nachfolgenden kommt. Man kann den mehrfach vollzogenen Stilwandel vom Figurativen hin zum Abstrakten und die Rückkehr zu figurativer Expressivität als offenes Prinzip verstehen, in dem nicht nur beide Ansätze gleichberechtigt zur Geltung gelangen, sondern darüber hinaus mit den kunstfremden mechanischen und elektronischen Gerätschaften triviale Alltagsdinge in ihre Bildwelt gelangen, die es ermöglichen, Disparates in Beziehung zu setzen. Ob mit diesen oder der Kombination anderer kunstferner Materialien wie Kalksteinplatten oder Beton wird deutlich, dass Ulla Walter in ihren vielschichtigen und komplexen Bildern um spannungsvolle und zugleich tragfähigen Konstruktionen ringt, die aus sich selbst eine lebendige Erscheinungswelt hervorbringen, ohne die Natur auch nur im Geringsten nachzuahmen. Und noch ein Satz gehört hierher, der das Werk von Ulla Walter charakterisiert: Dem Innovativen, dem Mut, Gegensätzliches zu vereinen und der unbändigen Lust zu experimentieren steht von Anbeginn eine handwerklich fundierte Traditionsbindung gegenüber. Wie kein anderes Bild erfüllt meines Erachtens das auf die Ereignisse vom nine-eleven 2001 in New York bezogene „Augenblick“ in überzeugender Weise dieses Beieinander. In dieser durchaus mit hintergründiger Spannung aufgeladenen Simultandarstellung, die Bezug nimmt auf die Twin-Tower-Katastrophe in New York, verschmelzen intensive Farben und zeichnerische Formen zu einem innovativem Statement, das an radikaler malerischer Freiheit bei gleichzeitiger konzeptueller Gebundenheit nichts zu wünschen übrig lässt. Auch wenn sich hierbei aufgewühlte Emotionalität Bahn bricht, Stimmungs- und Gefühlswerte ungehindert in die Bildgestaltung einfließen, so ist doch kaum zu übersehen, dass trotz malerischen Temperaments eine hohe Sensibilität gegenüber gesellschaftspolitischen Fragestellungen bestimmend ist. Womit wir bei einem Leitmotiv der künstlerischen Arbeit von Ulla Walter wären, die sich im ständigen Wechselspiel zwischen Kunst und Gesellschaft, zwischen Kunst und Politik, zwischen Kunst und Natur vorzugsweise in den gesellschaftlichen Diskurs einmischt. Mit ihren durch hintergründige Understatements gespickten Interventionen provoziert sie permanent das sogenannte öffentliche Bewusstsein. Letztlich ist es das Humane schlechthin, das in seiner unterschiedlich substantiellen Ausprägung sich als Maßstab in den vier Abteilungen gleichermaßen zu erkennen gibt und dem willigen Betrachter jedweden Raum für Assoziationen und das Einbringen der eigenen Erfahrungen bietet.
Ulla Waller, Foto © Burg Beeskow
Bereits mit dem frühen Selbstbildnis von 1978 hat Ulla Walter sich für eine künstlerische Position entschieden, in der nichts dem Zufall überlassen bleibt. Das Porträt, das mit pointiert individuellen Zügen und mit sparsam gesetzter Farbgebung Wiedererkennbarkeit und psychologische Charakterisierung garantiert, verrät einiges von der über die Jahre verfolgten Zielrichtung, nämlich, mit künstlerischen Mitteln den existenziellen Kampf und dessen Auswirkungen auf Körper und Geist zu thematisieren. Dabei geht es weniger um eine Zurschaustellung der inneren und äußeren Verfasstheit, als um Fragen der Selbstbehauptung und des Durchsetzungsvermögens. Darum stehen im Mittelpunkt dieses und folgender Porträts die reflektierte Selbstsicht eines grübelnden Geistes, dessen Augen Zweifel an den Gewissheiten und innere Unruhe verraten.
Zwischen diesem frühen Selbstporträt und den beiden Darstellungen „Kopf verdreht“ „Ansehen-Wegsehen“ von 2004 liegt ein Vierteljahrhundert. Eine spezielle Lichtführung im ansonsten neutralen Bildraum aus verschiedenen Braunnuancen steigert die zum Glühen gebrachten Rottöne, die mit rosa- und sienafarbenen Akzenten durchsetzt das Bildgefüge bestimmen. Die Köpfe erhalten ein schwebendes Gewicht in der Leere, was sie – wie die pastos gemischten Farbschichten – zusätzlich auflädt und zu Chiffren psychischer Existenz macht. Mir erscheinen diese Kopfbilder mit den zernarbten, den Blick ins Innere gewährenden Gesichtern wie Schlüsselwerke in Ulla Walters Schaffen, weil sie darin sowohl den der Dingwelt zugrunde liegenden Strukturen nachspürt als auch die Banalitäten und Geheimnisse des Lebens festzuhalten sucht. Dass sie dabei in Zonen des Unbewussten vordringt, erscheint ebenso folgerichtig wie ihre Mission, die essentielle Einheit der Welt im Blick zu behalten, das ewige Motiv des menschlichen Seins und Miteinanders zwischen Geburt und Tod auszudrücken.
Apropos Tod! In aller Regel beginnen neue Lebensabschnitte mit der Geburt. Anders bei Ulla Walter, die durch einen Autounfall im ersten Studienjahr mit dem Tod in Berührung kam und die seitdem ihr Leben und ihre Malerei aus dem tiefsten Innern gestaltet. Noch in der Studienzeit entstehen jene großartigen und ergreifenden, bis ins anatomische Detail stimmigen Zeichnungen, die ihr dabei helfen, Tod und Schmerz zu überwinden, Selbstbefragung und künstlerische Lebensbewältigung zu thematisieren. In diesen durch ein traumatisches Erlebnis ausgelösten meisterhaften Darstellungen aus der Pathologie, erweist Ulla Walter ihre Fähigkeit zur Verdichtung und zur Konzentration auf Wesentliches im Allgemeinen.
Nach den Umbrüchen zu Beginn der 1990er Jahre besinnt Ulla Walter sich neuerlich auf ihre von Bernhard Heisig beeinflussten expressiven Qualitäten. Im Folgenden setzt sie in ihren malerischen Hervorbringungen ganz auf das Wechselspiel von Formauflösung und Farberuptionen. Sie vertraut der Auflösung des Gegenstandes und der spontanen malerischen Geste, die sich zunehmend reliefartig von der Bildfläche abhebt und in den Raum drängt. Im Niemandsland schwingender Formationen aus Farbklängen und Zeichen erwächst fortan eine verschwenderische Fülle von farbigen Flecken und konturierten Formreduktionen, die dynamisch komponiert, in einer kraftvollen gegenstandsbefreiten Malerei münden. Doch schon bald kehren Zweifel an der Richtigkeit des eigenen Tuns, an der Wichtigkeit des Informellen zurück - gepaart mit der teils bitteren Erkenntnis, dass im rasanten wie radikalen Wechsel der Lebensverhältnisse Farb- und Formexplosionen allenthalben und im Überfluss in der neuen Wirklichkeit zu haben sind.
Was dann in den Nullerjahren folgt, ist die Rückkehr zum Menschenbild und eine neuerliche Lust am Experimentieren. Zwischen Pioniergeist und sich ausbreitender Resignation gestaltet sie ein Gegenwartsbewusstsein, dass von der Skepsis einer Gesellschaft vor dem Aufbruch ins Ungewisse nachhaltig geprägt ist.
In jüngster Zeit wird wiederholt die Kunstwürdigkeit von elektronischen Geräten befragt. Die in die Malfläche integrierten technischen Utensilien ersetzen praktisch die mit herkömmlichen Mitteln nicht formulierbare bildliche Erzählung, die sich als rationale und harmonische Montagebilder mit formaler Klarheit präsentieren. Auch hier funktionieren Ulla Walters reflektierende Bildkonzeption und die Fähigkeit zur radikalen Vereinfachung. Schließlich geht es nicht nur um Belebung der Malfläche oder deren Anreicherung mit industriellen Aspekten, auch nicht darum, bedeutungsarme Alltagsmotive aufzuwerten, sondern flüchtiger Wahrnehmung entgegenzuwirken und neue, ungewohnte Ding- und Sinnbezüge herzustellen.
Katharina Meng aus Friedland, Heinrich Bleicher aus Berlin und Ulla Walter (v. l.) vor
dem Bild “Welle“ von 2011, das auf das Reaktorunglück in Fukushima Bezug nimmt.
Foto © Elke Lang
Dass Ulla Walter sich für Überraschungen eignet, wird nicht erst mit der Integration dieser oder anderer kunstferner Materialien in die Bildgestaltung deutlich. So dienen letztlich eben auch die seit den1990er Jahren collagierten Kalkplatten, mit denen etwas Geologisches ins Spiel kommt oder die seit 1995 mit Beton und Ölfarbe reliefartig aufgebauten rudimentären Figurationen dazu, das physische Erleben des Malvorgangs beim Betrachter zu steigern. Dabei ist die experimentelle Verwendung von gelbgrauen Kalksteinplatten keine Angelegenheit schöpferischer Originalität, eher schon eine landschaftliche Spurensuche, die Einblicke in Verborgenes ermöglicht. Hingegen sorgt die Beimischung von Beton für eine schorfartige Körperlichkeit, dank derer es zur materiellen Verfestigung der sinnlichen Farbigkeit kommt, mit der die Überführung von Malerei in den Raum betont wird.
Wie kein anderes Objekt markiert die bemalte Pyramide von 1993 als geometrische Bildkonstruktion den Übergang von der Fläche ins Dreidimensionale. Mit dieser geometrischen Bildkonstruktion überschreitet Ulla Walter zum gegenseitigen Vorteil die Gattungsgrenzen von freier und angewandter Kunst, Design, Dekoration und Installationsraum. Sie stellt damit Errungenschaften der Moderne in einen neuen Zusammenhang, indem sie die Utopien des 20. Jahrhunderts kritisch reflektiert, die Errungenschaften der Kunstgeschichte zitiert und über die Neubestimmung kultureller Werte zu ganz eigenen Interpretationen findet. Zu den skurrilen, teils komplizierten Konstruktionen mit Bewegungsmechanismen sei abschließend nur so viel gesagt, dass auch sie den Blick auf mehrere spielerische und ernsthafte Bedeutungsebenen öffnen und – dass Schmunzeln hier ausdrücklich erlaubt ist.
(Herbert Schirmer)
Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung „Vier Wege vor dem Jetzt“

Ausstellung: 28. März 28. Juni 2015

è Burg Beeskow
Archiv, Lese- und Medienzentrum des Landeskreises Oder-Spree
Frankfurter Straße 23, 15848 Beeskow
*
E-Mail

Keine Kommentare: